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Bei Karl Manfred Rennertz steht Holz als künstlerisches Material im Vordergrund. Holz als organisch gewachsener Werkstoff ist in idealer Weise geeignet, die von ihm aufgeworfenen künstlerischen Fragestellungen zu veranschaulichen. Dabei lässt Rennertz seine Figuren gern an dem Ort entstehen, an dem sie ihre neue Heimat finden sollen. Im Einklang mit der Atmosphäre des Ortes sollen sie nicht als Fremdkörper wahrgenommen werden, sich vielmehr einfügen in einen sinnhaften Gesamtzusammenhang. Die Topographie und deren Geschichte fließen in den Arbeitsprozess und das gestaltete Objekt ein. Im Hinblick auf den Standort des Industriemuseums wird so etwa die Spannung von Mensch und Industrie, Natur, Technik und Kultur sinnfällig.

Rennertz geht bei seiner bildhauerischen Arbeit zunächst von einer Skizze seiner Werkidee auf Papier aus, um diese zeichenhaft auf die Baumstämme zu übertragen und dann mit Axt und Kettensäge aus dem Material herauszuarbeiten. Wenn Karl Manfred Rennertz einen Baum mit der Kettensäge traktiert, fühlt er nach eigener Aussage die kraftvolle Schwingung des Stammes und nimmt diese im weiteren Verlauf der Arbeit dialogisch auf. Deshalb erscheinen die Figuren nicht nur plump und unbeweglich, sondern auch spannungsvoll bewegt, bisweilen gar elegant geschwungen. Hier vollzieht der Bildhauer eine sensible, immer gefährdete Gratwanderung zwischen Dynamik auf der einen und Schwere und Beharrung auf der anderen Seite. Es vermittelt sich eine Austauschbeziehung zwischen der Struktur des gewachsenen Holzes und der dem Stamm eingezeichneten Konzeption der zu fertigenden Skulptur. In diesem Prozess kommt es zu einer schritt weisen Annäherung. Abschließend werden die Figuren durch Farben akzentuiert oder durch Feuer geschwärzt.

Neben aufragenden, aus dem Stamm geschälten Figurationen, umkreist Rennertz immer wieder das Thema der Hülle, der Schale oder Negativform, um zwischen zwei aufeinander bezogenen Hohlkörpern ein Spannungsfeld, eine Dialektik von Innen und Außen aufzubauen. Aus der Vorder- und Rückseite eines Baumes treten Schattenfiguren hervor, die in ihrem Erscheinen und Verschwinden Prozesse der Metamorphose, der Verwandlung, Form-Verwandtschaften, Übergangsphänomene anschaulich werden lassen. Rennertz’ Bäume verwandeln sich in Figuren und seine Figuren in Schatten und andere Erscheinungsweisen zwischen Traumgesicht und Wirklichkeit.

Für diese Ambivalenzen steht etwa das Figurenpaar, das – überlebensgroß – den Besucher am Eingang in die Ausstellung empfängt. Nicht ganz klar ist, ob die beiden Gestalten hockend, kniend oder stehend zu betrachten sind. Die Proportionen dieser archaisch anmutenden Wesen, die einer als Sockel fungierenden Baumscheibe entwachsen, sind extrem verzerrt. Wie afrikanische Skulpturen wirken die Objekte roh und ursprünglich. Neben der afrikanischen Tradition lassen sich die Figuren sicherlich auch zurück beziehen auf die Gestaltungsprinzipien des Kubismus. Diesen gemäß fügen sie sich zusammen aus prismatischen Einzelformen, die in ihrem Wechselspiel einen Eindruck von Bewegung und Dynamik aufkommen lassen. Frontalität, Überproportionierung einzelner Glieder im Verhältnis zum Ganzen, in sich geschlossene Unbeweglichkeit kennzeichnen dieses Figurenpaar. Ihre Haltung, ihre Geste, ihre Beschaffenheit arbeiten zugunsten einer Typisierung jeder individuellen Bestimmung entgegen. Offenbar lässt Rennertz sich der Entwicklungslinie des Primitivismus in der modernen Kunst eingliedern. Für Gauguin und später für Picasso, Derain, Brancusi und die deutschen Expressionisten lieferte die Stammeskunst Afrikas und Ozeaniens einen außergewöhnlichen Reichtum an anti-naturalistischen, figurativen Bildern sowie eine Alternative zur akademischen Tradition. Maßgabe für dieses Interesse sind nicht nur Äußerlichkeiten, vielmehr die Rückkehr zur ursprünglichen Einfachheit und die geistige Durchdringung der Formgestalt.

Den Eingang in den Hauptausstellungsraum flankiert ein mit Blattgold überzogenes, teilweise durch Feuereinwirkung geschwärztes Objekt polygonaler Gestalt. Der für die Statik unerlässliche Sockel ist unmittelbarer Bestandteil der Skulptur, gibt ihr auch optisch einen klaren Bezugs- und Ausgangspunkt. Jede Seite ist sowohl in der Ausdehnung und geometrischen Gliederung wie auch durch die aus dem Arbeitsprozess entstandenen Schraffuren in der Oberfläche des Holzes unterschiedlich. Zum Teil scheinen sich diese Linienverläufe in einem chaotischen Netzwerk zu durchkreuzen, damit die Form wie autistisch auf sich selbst zurück projizierend; in anderen Fällen drängen die Einkerbungen strahlenförmig über die Begrenzung des Objekts hinaus, um ein virtuelles Wachstum in den Umraum anzuzeigen. Die Grundgestalt der Skulptur kann den Polyeder zu Füßen der geflügelten Figur in Dürers „Melencholia“ assoziieren lassen. In dieser Radierung finden sich vielfältige Bezüge auf den Erkenntnis- und Forschungsdrang der Alchemie, die auch hier möglicherweise über das Blattgold und die Feuersspuren aufgenommen ist. Dem Streben das Alchemisten, eine mystische Formverwandlung herbeizuführen, gemäß, wurde der Baumstamm in der Bearbeitung durch den Künstler einer Veredelung unterzogen und als Kunstobjekt – als kristalliner Diamant – der natürlichen Vergänglichkeit entzogen.

Die Zentralgestalt des Ausstellungsraumes ist sicherlich die im vorderen Bereich aufragende „Barbara“, hier als Schutzpatronin der Bergleute eingebracht. Wie einzelne Blütenteile scheint diese sich aus dem Sockel zu erheben, dabei den Betrachter durch ihre Drehbewegung auf ständig wechselnde Ansichten ausrichtend. Statisch verharrende und dynamisch veränderliche Kräfte werden auch hier permanent einem Ausgleich zugeführt. Der Baumstamm ist mit der Motorsäge so bearbeitet, dass die einzelnen Segmente z.T. nur noch punktuell und höchst fragil miteinander verbunden sind. Die organische Kompaktheit des Stammes ist in eine feingliedrige Bewegungskette transformiert. Die ganze Holzoberfläche ist zudem mit harten, gegenläufigen Kerben und Schnitten durchfurcht, wodurch die Gewachsenheit des Stammes, sein natürlicher Verlauf kontrapunktiert werden. Hier artikulieren sich die Grundbedingungen des künstlerischen Schaffens von Karl Manfred Rennertz so wie es sich dialektisch in den Polaritäten Kraft/Masse, Raum/Zeit, Geometrie/Zufall, Willkür/Steuerung entwickelt. Die farbliche Gestaltung wird dann nicht ausschließlich gegenstandsbezeichnend eingesetzt. Die farblichen Markierungen erweitern die gegenständliche Lesbarkeit der einzelnen Körperstrukturen in Hinblick auf ein rhythmisches Wechselspiel plastischer Formbezüge.

Die bei der Darstellung des menschlichen Körpers aus der Unterscheidung von Stand- und leicht gebogenem Spielbein entstehende Körperhaltung ist seit der griechischen Frühklassik das Kennzeichen aller sich auf die abendländische Tradition berufenden Skulptur. Die Kontrapoststellung zielt auf einen harmonischen Ausgleich von Last und Gelöstheit, Ruhe und Bewegung. Wenn Rennertz diesen Grundvorwurf des Klassizismus in seiner monumentalen Plastik der „Barbara“ aufnimmt, und zugleich das im Kubismus angewandte Prinzip der Körperfragmentierung erprobt, gibt er einen bildhaften Kommentar zur Geschichte der Skulptur ab. Das Darstellungsmotiv der Skulptur steht für den Rückbezug auf die Tradition, die Form aber, von Rennertz mit der Kettensäge aus dem Holzstamm gewonnen, läuft diesem Bezug diametral entgegen. Die rohe Beschaffenheit der Oberfläche, die tiefen Kerben und Arbeitsspuren, die zahlreichen, teilweise bemalten Facetten verkehren den eleganten klassizistischen Vorwurf in eine anti-klassizistische Form.

Die Figurengruppe der „3 Säulen“ lässt sich sowohl architektonisch als auch figurativ ausdeuten, um damit auf anderer Ebene wiederum eine ambivalente Position zu besetzen. Regelmäßig in den Holzstamm eingebrachte Ritzungen vermitteln den Eindruck eines tektonischen Aufbaus aus ineinander geschichteten Teilstücken, die in ihrer Verankerung eine subtile Balance vertikaler und horizontaler Kräfte schaffen. Hier steht der Eindruck statischen Verharrens, einer sukzessiven Verfestigung im Vordergrund. Aus größerer Distanz betrachtet, scheinen die Säulen sich dann jedoch in unterschiedlicher Weise zu verhalten, vielleicht gar aufeinander zu reagieren und miteinander zu kommunizieren. Die Formen scheinen sich – atmend und pulsierend – aufzublähen, sich in einer subtilen Drehung aufzurichten oder aber sich leicht in den Raum hinein zu beugen. Die Bekrönung mit einer Art Kapitell entspricht zwar wiederum der architektonischen Konnotation, kann jedoch gleichzeitig als majestätische Kopfbedeckung einer wesenhaften, vermutlich menschlichen Gestalt verstanden werden.

Dieses Spannungsgefüge uneindeutiger Les- und Betrachtungsweisen wird in besonders eindrücklicher Weise manifest an der wiederum zweiteiligen Skulptur „Figur im Baum“, dem mit mehr als 5 m Höhe größten Objekt dieser Ausstellung. Hierzu hat Karl Manfred Rennertz den gewaltigen Stamm eines Mammutbaumes bearbeitet und geöffnet. Die Wirkung ist zunächst durch drei unterschiedliche Oberflächenbeschaffenheiten bestimmt: durch die weiche und sinnliche Anmutung der in Fasern verflochtenen Rinde, durch die eher glatte Schnittkante an der Innenseite des Stammes und durch die hier ausgehöhlten Körpersilhouetten, die durch die Schwärzung des Holzes mit Feuer eine weitere Akzentuierung erfahren haben. Die aus geometrischen Einzelformen definierten Gestalten wirken zeichenhaft verknappt, gewinnen aber aufgrund ihrer Größe und Monumentalität eine außerordentliche Präsenz, wenn sich diese auch nicht substantiell, eher schattenhaft aus einer Leerform bezieht. Die unterschiedliche Ausrichtung der einzelnen Körperteile lässt diese in ein dialogisches Verhältnis treten, als würden wir als Betrachter in eine Gesprächssituation eingebunden. In jedem Fall verstärkt sich durch die Setzung dieser Figurationen die außerordentliche Macht des ursprünglichen Baumstammes, der sich wie eine Urgewalt im Kontext der Industriearchitektur behauptet. Die ihm innewohnenden Kräfte scheinen sich hier zu personifizieren, wobei die Figuration letztlich ja auch die Zerstörung und Bannung der Lebenskräfte des Baumes mit sich gebracht hat. Geistige und körperhafte Energien, destruktive und formende Kräfte rücken offenbar in ein labiles Verhältnis. Wie das eine das andere zerdrücken und vernichten kann, so mag das je eine aus dem je anderen auch wieder eine besondere Ausdruckskraft, Zeit und Raum überdauernde Potenz beziehen.

Abschließen möchte ich mit einer kurzen Reflexion über die Symbolik, die mit dem Baum oder auch dem Wald herkömmlich verbunden ist, da sich diese doch im Schaffen von Karl Manfred Rennertz zu spiegeln scheint. Am Anfang einer nationalistisch gefärbten Aneignung des Waldes als Identitätssymbol der Deutschen steht der altrömische Historiker Tacitus bzw. dessen Interpretation durch die Mythenforschung des 19. Jahrhunderts. Als Jacob Grimm und andere Romantiker aus Mythen und Sagen eine verborgene Geschichte der Deutschen rekonstruieren wollten, erhoben sie Tacitus’ „Germania“ zum ältesten deutschen Geschichtsbuch. Hier wurzelt der mythologisch begründete Glaube, demzufolge die Germanen auf mysteriöse Weise den undurchdringlich dunklen Wäldern entstammen. In der Romantik wurde die „Waldeinsamkeit“ zum Ort der Muße und zum Symbol der menschlichen Eintracht mit der Natur. Die politische Waldsymbolik des 19. Jahrhunderts passte ausgezeichnet ins völkisch-politische Konzept der Nationalsozialisten. Der „Wald als Erzieher“ lautete der Titel eines Buches, welches eine Parallele zwischen Baum und Mensch, zwischen Wald und Volk entwickelte.
Hier zeigt sich, dass die Verknüpfung der Motive von Baum und Mensch, so wie sie von Karl Manfred Rennertz skulptural ins Werk gesetzt wird, kulturgeschichtlich tief verwurzelt und durchaus zwiespältig zu sehen ist. Der Künstler inszeniert jedoch keinen Zustand von Harmonie und unbedingter Versöhnung. Er visualisiert vielmehr ein Spannungsfeld, so wie es sich im Ineinanderwirken unterschiedlicher Lebens- und Wirkbereiche – zwischen Natur und Zivilisation, Technik und Kultur – gestaltet und ständig neue Disharmonien produziert. Diese gilt es aufzunehmen und auf eine Balance auszurichten, ein Prozess, der niemals abzuschließen und im Hinblick auf die Gegenwart immer neu auch kritisch zu reflektieren ist. Dieser in sich auch widerständige und widersprüchliche Reflektionsprozess ist Thema und Ausdruck der hier im industriegeschichtlichen Kontext ausgestellten Skulpturen von Karl Manfred Rennertz.

Das künstlerische Werk des gebürtigen Rheinländers Karl Manfred Rennertz zählt in mehrfacher Hinsicht zum Innovativsten, das man in der Region sehen kann. Ende der siebziger Jahre war er, obschon noch nicht 30 Jahre alt, einer der „Urväter der Kettensäge“, die es wagten, Skulpturen mit grobem und kunstfernen Gerät herzustellen. Ebenso selbstverständlich integrierte er die Malerei in die Holzskulptur, faßte sie als eigenständiges, nicht nur das plastische Volumen illustrierendes Medium auf. Auch die Generation der „Maler-Plastiker“ wuchs erst in den 80er Jahren heran. Ein glücklicher Umstand führte ihn auf den Spuren seines Lehrers Alfonso Hüppi nach Baden-Baden. Dort lebt Rennertz heute, ist als Vorsitzender der Gesellschaft der Freunde junger Kunst auch eine bedeutende Vermittlerfigur der aktuellen Kunst.

Die Sammlung der Badischen Stahlwerke besitzt eine seiner raren frühen Figuren, die unmittelbar mit der Wahlheimat des Künstlers zu tun hat. Sie ist aus echtem Baden-Badener Holz geschnitzt – Erle aus den Rheinwäldern – und porträtiert eine Figur, die in der Kurstadt ebenfalls eine wichtige Rolle spielte. Fee Schlapper, Tochter des ehemaligen Oberbürgermeisters der Stadt und selbst eine bekannte Porträtfotografin, 1999 gestorben. In der Entstehungszeit der Skulptur stand sie dem Künstler wohl nicht Modell, war aber ständiger Gast im Atelier von Karl Manfred Rennertz. So war die zarte alte Dame als Gestalt sehr präsent im Bewusstsein des Künstlers, der sich gerade von der Porträthaftigkeit seiner Arbeiten zu verabschieden begann, aber noch nicht den „Rennertz-Schnitt“, wie er ihn selbst nennt, ausgebildet hatte, jenes kantige expressive Hineinfahren in die Figur bis an die Grenze der Standhaftigkeit. Seine „Fee Schlapper“ besitzt noch einen voluminösen Anflug von Schenkeln, selbst drei Rippen sind aufgemalt. Dennoch ist das expressive Bemühen eine herausragende Qualität der Skulptur. Die menschliche Figur erhält ihr Leben nicht aus der gewachsenen Statur, sondern ist sichtbares Ergebnis eines heftigen Gefechtes zwischen Kettensäge und Stamm. Der Rhythmus dieser Arbeit am Holz wird zum entscheidenden Kriterium der Skulptur. Die Anatomie bleibt eine Erinnerung, der „Geist“ dieser Gestalt aber lebt durch die abstrahierende Geste hindurch. Diesen Hauch der Verbindung zwischen naturnaher Körperhaftigkeit und bildhauerischer Handlung festzuhalten, ist die Meister-schaft des Bildhauers.

Karl Manfred Rennertz, geb. 1952 in Eschweiler/Rheinland, gehört zur Generation der Neuen Expressionisten in Deutschland. Er ist Plastiker im ursprünglichen Sinn des Bildhauers. Sein wichtigstes Material ist Holz, sind Baumstämme, die er mit der Kettensäge bis zur Größe von Monumenten bearbeitet. Ob menschliche Figuren, Köpfe, Masken oder pflanzenartige Gebilde – alles ist bei ihm aus dem Stamm entwickelt und auf dessen Rundung zurückbezogen. Die Naturwüchsigkeit des Baumes drückt sich in einer lebendigen Bewegtheit aufragender Formen bis zu geschlängelten und geschraubten „Serpentinata“-Windungen und in ihrem blättrigen Zuschnitt aus. Andererseits hat die schwere Massigkeit der Stämme ihre Entsprechung in der Kompaktheit und Geschlossenheit der Volumen.

„Expressionistisch“ sind die beinahe „gotischen“ Zuspitzungen der Umrisse, die Verzerrungen natürlicher Proportionen von Leibern oder Gesichtern, auch ihre rauhe Oberfläche und Bearbeitung mit fleckig verteilter Farbe und Brandspuren. Aber die Statuarik der standfesten Konstruktion und eine Beschränkung der Farbenskala vermeidet alles Exaltierte. Also ist Rennertz, genau besehen, kein „Neuer Wilder“, wie man die neueren deutschen Expressionisten genannt hat.

Die im Schlosspark von Vaudrémont aus Baumopfern des Sturms vom Jahresende 1999 gefertigten Skulpturen bedeuten eine neue Phase in seinem Werk. Mit einem Flammenwerfer gänzlich brandgeschwärzt, bildet das Halbrund von Masken und nach deren Prinzip rückwärtig ausgehöhlten Figuren bedrohliche Silhouetten. Andere Plastiken aber gleichen exotischen Kultobjekten und changieren, mit Blattgold belegt, in einem festlichen Licht. Den Schatten einer fiktiven Unterwelt antworten ein „Kristall“ oder eine goldene „Fähre“ im Widerschein eines imaginierten Paradies.

Vor der Baden-Badener Villa Leonore stand ein Mammutbaum. Er war ungefähr einhundertzwanzig Jahre alt. Vor vielleicht einem Jahr ist er abgestorben. Ganz genau kann man das bei Bäumen nie sagen, denn Bäume sterben aufrecht. Das nennt man absterben. Menschen sterben sehr selten aufrecht, sondern sterben richtig. Der Mammutbaum wurde gefällt und lag da, sehr lang und sehr dick. Karl Manfred Rennertz sah ihn sich lange an. Dabei entstand in seinem Kopf ein Bild. Das zeichnete er schwarz auf weiß auf ein riesiges Blatt Papier, legte sich die Skizze in seinem Gedächtnis zurecht, schnitt den Stamm oben und unten glatt ab, trennte ihn in der Mitte in Längsrichtung durch und erhielt zwei gewaltige Mammutbaumhälften. Sie waren gute fünf Meter lang und auch als Hälften noch ziemliche Ömmesse. Rennertz stammt aus Langerwehe. Das ist eine kleine Ortschaft südlich von Venlo, östlich von Liege, nördlich von Monschau und westlich von Köln. Dort versteht man sich als Rheinländer und spricht auch so. Ein riesiger Felsbrocken, eine gigantische Bronzefigur, ein massiger Tonklumpen, ein langes und schweres Holzstück oder auch ein sehr dicker und sehr großer Mensch sind schlicht ein Ömmes. In die Innenseiten der beiden Mammutbaumhälften sägte und schlug Rennertz je eine Figur. Er formte sie hinein, nicht heraus. Er bildhauerte sie konkav, nicht konvex. Den Innenraum dieser abstrakten Figuren machte er mit Gasflamme schwarz, er überzog sie gewissermaßen mit einem Schatten. Dann ließ er sie für die Ausstellung Schwarzwaldhochstraße in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden auf die Beine stellen und nannte sie Figur im Baum.

Eigentlich sind es zwei Figuren, aber Rennertz ist da wiederum rheinisch und nimmt das nicht so genau. Bei Licht besehen hat die eine Figur hängende Schultern und hängende Hüften und könnte ein Schattenmann, und die andere Figur hat steigende Hüften und Schultern und könnte eine Schattenfrau sein. Eine Frau ist auf jeden Fall dabei, denn die meisten Figuren von Karl Manfred Rennertz sind Frauen, die sind ja auch schöner.

Als Rennertz nach Schloß Vaudremont kam, war der Baum, auf den er hätte treffen können, nicht mehr unter den Aufrechten. Aber er war nicht abgestorben, ein Orkan hatte ihn umgelegt. Jener Ömmes von Sturm, den die Deutschen Lothar nannten, hatte ihn einige Meter oberhalb der Wurzeln abgedreht, hatte ihn aus seinem mächtigen Standbein gezogen wie den Korken aus der Flasche. Das war gegen Ende des vorigen Jahrtausends. Bis dahin hatte die Sumpfzypresse den Schloßgarten beherrscht, und schon auf alten Zeichnungen hatte sie auch das Schloß überragt. Als Rennertz in die Champagne bei Colombey-les-2-Eglises kam, lagen ihm die große Sumpfzypresse und kleinere Bäume von derselben Sorte bereits als Material zu Füßen. Hier, das wußte er, kriegste andere Bäume, da klingt es anders, die riechen gut.

Henry Moore hat einmal gesagt: Holz ist ein natürliches, lebendiges Material. Und kaum waren die Worte dem Gehege seiner Zähne entflohen, da wußte der große Moore, daß er ein Zitat geschaffen hatte. Er würde zitiert werden wie Homer. Dabei hat er keineswegs nur recht, der große Meister. Ein Förster kann ihm sagen, daß der Lebenssaft des Baumes durch die Rinde fließt. Ist der Baum entwurzelt, gefällt und geschält, dann ist er Holz, und Holz ist nicht mehr lebendig, sondern mehr oder weniger tot. Aber er hat natürlich auch recht, denn es gehört zur Natur der Kunst, daß sie totes Material zum Leben erwecken kann, zu neuem Leben. Es ist auch eine Kunst, tote Worte zitierfähig zu machen,aber es ist auch eine Gefahr, stets zitierfähig daherzukommen. Dieser Gefahr weiß der Mann aus Langerwehe mit schlichtem Gemüt zu entgehen. Holz gibt es genug, immer noch. Und Steine sind schwer zu bewegen. Bevor das Holz auf der Müllkippe landet, kann er was draus machen. Als er Meisterschüler bei Alfonso Hüppi war, hat er realistische und detailgetreue Holzportraits gemacht. Er machte Holzskulpturen vor Baselitz und allen anderen. Die Leute riefen bei ihm an und sagten machen sie mir mal meine Frau in Holz. Außerdem ist Holz, das der Kunst gedient hat, noch nützlich. Die Späne, die beim Kunstsägen fliegen, kann man im Garten ausbringen, das Abfallholz nährt das wärmende Feuer. Brennt gut. Karl Manfred Rennertz kommt aus einem Töpfereibetrieb. Als er sich an Holz annäherte, hatte er keine zitierfähigen Vorstellungen, wollte nicht in den Kreislauf der Vergänglichkeit eingreifen: Baum ab, Holz zu Asche, alles weg. Die Grünen gab es damals noch nicht. Also kein Zitat: Den Baum als Skulptur der Nachwelt erhalten. Der junge Rennertz hat mit Stein, Gips, Bronze und so weitergearbeitet. Auch mit Ton, aber Ton war ihm eigentlich immer zu weich.

Gott schuf den Menschen aus Lehm, aber Ton war dem Rennertz immer zu weich.

Rennertz hatte an der Düsseldorfer Kunstakademie hervorragende technische Lehrer. Bei denen hat er sein Handwerk gelernt. Er kann sogar das Schweißen, nicht unbedingt wie sein Kollege Eberhard Eckerle, aber so normales Aneinanderbraten, das geht schon. Brauchste auch, wenn du Ton aufbaust. Da ist immer ein Stahlgerüst drunter. Der künstlerische Lehrer, der Professor Hüppi, war dann fürs Diskutieren. Diesem Hüppi ging es darum, seine Studentinnen und Studenten zu sich selbst zu führen, und wenn er in den Notizen von Rennertz liest: Auge und Phantasie ziehen alles Bewegte um mich herum zu einem Bild zusammen, es ist in mir, ganz mein Bild, subjektiv, wenn er das liest, schnurrt ihm das Hirn vor Wohlbehagen, und sein Herz spielt in Dur auf der Ziehharmonika. Niemandem, der bei Hüppi gelernt hat, sieht man den Hüppi an. Sie sind alle bei sich selbst gelandet und geblieben. So auch der Rennertz. Als er von Holzhammer und Stechbeitel auf Kettensäge und Axt kam, vom Realismus auf die Abstraktion, da war das einfach deshalb, weil keiner mehr anrief und seine Frau in Holz haben wollte oder sein Kind als hölzernen Roboter. Und das Schwarz bescherte dem Rennertz seine Große Nordhornerin. Sie stand auf einem Fundament, neben einer Bushaltestelle, in der kleinen Stadt Nordhorn. Die liegt östlich von Almelo, nördlich von Ochtrup, südlich von Wietmarschen und westlich von Lingen. Die Menschen dort sind kaum rheinisch, und einige von ihnen mochten die große Frau aus Holz nicht. Sie fielen eines Nachts über sie her und schleiften sie samt Sockel in den Wald. Dort übergossen sie das Weib mit Altöl und zündeten es an. Aber die Große Nordhornerin überlebte den Scheiterhaufen. Die Brandspuren hatten lediglich ihre Bemalung verändert. Sie war jetzt fast überall schwarz, schwarz wie die Nacht, in der sie gebrannt hatte, schwarz wie der Schatten, den sie dabei warf. Rennertz kam eine Idee: Er malte zwar weiterhin seine Skulpturen ultramarin blau und satt rot und grell weiß und glühend orange an, er beklebte sie weiterhin mit Blattgold, aber er rückte einigen von ihnen auch mit dem Gasbrenner auf die Pelle und machte sie schwarz, hüllte sie in den Schatten ein, den sie sonst nur von sich warfen. Und Rennertz stellte fest, daß der Schatten sie schützte. Es gingen keine Schädlinge an sie dran. Auch Sonne und Regen setzten ihnen nicht so zu wie den bemalten Holzgenossen. Sie mußten also nicht mehr unbedingt zuhause bleiben, sondern konnten auch mal an die frische Luft gehen. Und noch etwas: Rennertz begann darüber nachzudenken, ob ein Körper nicht nur einen Schatten wirft, wenn Licht auf ihn fällt, sondern ob er nicht auch einen Schatten hat, den er immer bei sich trägt. Andersrum: Hat ein Schatten einen Körper? Und wie stellt man das bildhauerisch dar?

So kam Karl Manfred Rennertz nach Schloß Vaudremont. Er erfuhr: Die Geschichte von dem Schloß ist illuster. Marlene Dietrich und Jean Gabin haben hier geflirtet. Die Dietrich und Jang Gabäng. Er sah: Die Champagne ist weißer Kalkstein und grün, im Sommer wie im Winter. Nicht so bedrückend wie die Eifel Richtung Belgien und das Bergische Land jenseits des Rheins. Er schuf: Die Dokumentation einer Arbeitszeit in der Champagne. Immer Sonne, immer unter Bäumen in der Allee. Lichtspiele, Schattenspiele. Er hörte: Kirchenglocken, den TGV, der in der Ferne vorüberfuhr, Hunde bellen, den Trecker, der die Bäume aus dem feuchten Gelände zog und Vogelgezwitscher, immer wieder Vogelgezwitscher. In der Nähe gibt es das Haus noch, in dem Auguste Renoir sein Atelier hatte. Rennertz hatte das Gefühl, eine impressionistische Situation zu erleben, eigentlich, er fühlte sich da eingebunden. Und der Monet mit seinen Seerosen muß auch sowas gefühlt haben.

Aber das kann natürlich einen strengen Kunsthistoriker nicht beeindrucken.

Aus dem Holz eines Baden-Badener Tulpenbaums sägte und schlug er ein Boot. Hatte er noch nie gemacht, aber es schwimmt. Das freut ihn am meisten. Es schwimmt im Burggraben, und Seerosen aus Sumpfzypresse liegen im Schloß aus. Tulpenbaumholz ist hart, das Holz der Sumpfzypresse weich. Es spritzt. Beim Sägen braucht man einen Scheibenwischer für die Brille. Die Axt richtet nichts aus. Das Holz hält den Hieb durch Nachgeben auf. Der Stumpf der entkorkten Schloßzypresse, die auf alten Zeichnungen schon das Schloß überragte, steht jetzt, efeuüberwuchert, wie eine Caspar-David-Friedrich-mäßige Ruine da. Aus ihrem entkorkten Stamm erarbeitete Rennertz Schattenmann und Schattenfrau. Sie sind, anders als das Schattenpaar in Baden-Baden, deutlich als Frau und Mann zu erkennen. Sie sind auch nicht, wie die in Baden-Baden, nur Schatten, sondern auch Körper. Schattenfrau und Schattenmann von Vaudremont sind der Versuch, Schatten als Körper abzubilden. Bevor Rennertz die Stammstücke, denen sie entstammen, aufrichtete, hatte er ihr Abbild schon im Kopf. Das übertrug er mit schwarzer und weißer Farbe auf die stehenden Stämme. Karl Manfred Rennertz richtet so gut wie alle gefallenen Stämme wieder auf. Er läßt sie nicht einfach liegen. Er gibt ihnen Gelegenheit, sich mit ihm zu messen. Sie klingen, wenn sie stehen, sie schwingen. Wenn Rennertz einen Fehler macht, dann können sie umfallen. Und so ein Ömmes kann einen schon erschlagen. Viele Fehler macht er offensichtlich nicht. Er lebt ja noch. Bevor er sägt, denkt er ganz lange nach. Es dauert oft länger, bis die Leiter steht, als es dauert, den Schnitt zu machen. Die Schattenfrau hat er von außen nach innen erschaffen. Vom Körper auf seinen Schatten zu. Das war eine ungünstige Richtung. An der hab ich geknabbert.

Außerdem hat er sie durchbrochen. Das macht er sonst nie. Seine Figuren sind standfeste Schwebende, lodern zum Himmel, feingliedrig Gesägte, haben einen festen Kern, sind kykladisch lebendig, haben, wenn es das in den Augen des strengen Kunsthistorikers geben kann, etwas von einem Augenblick hölzerner Ewigkeit. Aber sie sind nicht durchbrochen. Die Schattenfrau von Vaudremont hingegen ist es. Rennertz hat das Weib vielfach durchbrochen, aber ist das der Durchbruch? Er hat an ihr gesägt, geaxtet und geknabbert. Das Knabbern war das Schwierigste. Sägen ist eine extrem berechnete Sache, sieht wild aus, ist aber Ausdruck höchster Beherrschung. Gute Freunde dürfen ihn deshalb die Säge nennen. Er ist höchst beherrscht. Er war es, als seine beiden Kinder noch an ihm herumkletterten, und er ist es, wenn sie auch heute noch an ihm rumnerven. Er nimmt es gelassen, wenn er, wohlriechend nach Zypressensaft, heimkommt und Frau Suzanne sagt: Du mußt unter die Dusche.

Er war jahrelang Meßdiener in Langerwehe. Dennoch ist für ihn das Katholische in Ordnung.

Beim Schattenmann von Vaudremont hat er die Richtung gewechselt. Ihn hat er sich von innen nach außen erarbeitet. Vom Schatten auf seinen Körper zu. Da mußte er nicht knabbern.

Erst hat er den faulen Kern rausgeholt, und da sah es schon ein bißchen nach Matisse aus. Und jetzt ist alles fertig und sieht aus, wie es aussieht. Und es sieht gut aus. Karl Manfred Rennertz hat sich zwar in eine impressionistische Situation eingebunden gefühlt, und die Bilder des Impressionisten Renoir flimmern, aber er, Karl Manfred Rennertz, hält mit dem Ausdruck höchster Beherrschung und mit Schwarz wacker dagegen.

„An dem Platz , an dem ich aufgewachsen bin, wird seit 1000 Jahren Keramik hergestellt.“ So Karl Manfred Rennertz; 1952 geboren wuchs er in Langerwehe zwischen Düren und Aachen auf und stammt aus einer Familie von Töpfern und Keramikern . Er studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Prof. Alfonso Hüppi und lebt heute in Baden-Baden.

„Karl Manfred Rennertz ist Bildhauer und sein Material ist Holz“, (Zitat Ende) schreibt Gabriele Uelsberg im Katalog zur Ausstellung 1992 im Forum Ludwig in Aachen .Die Motorsäge mit der er seit nunmehr 20 Jahren hantiert, bringt den gellendsten Schrei in der Holzbearbeitung hervor , wenn sich die Kettenzähne vom drehfreudigen Zweitaktmotor angefeuert in das Holz fressen oder in die Gliedmaßen des Sägers einschlagen sollten.

Rennertz wirkt als bedächtiger Mensch und setzt sich dennoch vermummt wie ein Samurai das Sägeschwert führend dem gefährlichen Schaffensprozeß aus. Die Erotik der Arbeit , das meditative Element und in weiter Ferne vielleicht erst Verdienst und Anerkennung wirken in der Regel als Triebfeder bei der künstlerischen Freilegung des erratischen Blocks. Die Art der Arbeit bedingt auch das formale Ergebnis: Die Motorsäge kerbt nicht wie ein feines Schnitzelmesser. Ihre Handhabung zeitigt grobflächige, keilförmige Einschnitte, die dem Gesetz der Gravitation folgend zunächst vertikal verlaufen, lediglich von der Gegenkraft des Werkstoffes und der Willenskraft des Künstlers in die Schräglage eines Kräftparallelogramms gezwungen. Die Säge hinterläßt Schrunden und Schürfungen.

Auch wenn die Rennertzschen Figuren, Pflanzen und Zapfen in Ihren Blätter- Pfeil und Keilformen zur Erde weisen, so wachsen Sie dennoch paradoxerweise nach oben, als ob sie sich vom Boden gen Himmel abstoßen wollten. Die Skulpturen suchen und finden ihre Balance in der ausgewogenen und statischen Gewichtsverteilung.

In den malerischen Darstellungen des Künstlers dreht sich öfters ein Kreisel und leitet seine Stabilität aus der dargestellten Bewegung ab. Werden wir irgendwann Skulpturen sehen können, die ihr Gleichgewicht aus kinetischer Energie beziehen ?

In der Literartur , in der Rubrizierung und in der Bemühung von „Ismen“ werden bei der Würdigung des Werkes von Karl Manfred Rennertz Expressionismus, Primitivismus, und Kubismus angeführt:

Kubismus als Überführung der natürlichen Rundungen und Kreisformen der Baumstämme in die geometrischen Grundformen Dreieck und Rechteck. Anhand der im Vordergrund stehenden Figürlichkeit, findet dennoch eine Auseinandersetzung mit Moderne und Abstraktion statt.

Expressionismus , da der Künstler seinen Skulpturen ( jetzt für Altphilologen), Flora, Fauna und Femina und wenn man die Säule mit Columna und die Herzen mit Corda bezeichnen will, mit einem satten Blau, einem leuchtenden Orange oder einem kalten Weiß zu einer ausdrücklichen Intensität und einer Akzentuierung der Flächen verhilft.

Der Primitivismus schließlich, der schon ganze Künstlergenerationen von Picasso bis Penck beschäftigte und beeinflusste, manifestiert sich in der Nähe zu den Lebensbäumen westafrikanischer Künstler, aber auch der Nähe zu den Totempfählen nordamerikanischer Indianer oder den Masken, die der Künstler auf die ausgesägten Holzkeile aufmalt. Rennertz Blick richtet sich dabei nicht in die Vergangenheit, sondern gegenwartsbezogen auf ein Hier und Jetzt.

Ruth Händler die Stuttgarter Korrepondentin von ART schreibt dazu über das Ouevre: „Die kantigen Schädel, die kubistischen Formen der zu spitz zulaufenden Keilen abstrahierten Torsi, die expressive Gestik der Hände, die oft dominierend den Körpern aufliegen, und der wuchtige Fußklotz, der ihre Geburt aus dem Stamm festhält und sie wie auf einer kleinen Insel aus der Umgebung heraushebt, verleihen diesen Holzwesen einen eigentümlichen, zeitlosen Ausdruck. Sie können ängstlich, nervös stolz, selbstbewußt, elegant, schwerfällig, fragil, verschreckt oder geknickt wirken und bleiben doch Kunstfiguren zwischen Natur, Geometrie und Menschenbild .“

Neben den Urelementen wie Erde und Luft spielt das Feuer, das Flämmen und das Zündeln ein wiederkehrende Rolle im Wirken von Karl Manfred Rennertz. Seit in einer Ausstellung in Nordhorn ein Brandanschlag auf eine seiner Figuren vorgenommen wurde, zündet der Künstler zuweilen selbst seine Holzskulpturen an oder malt mit dem Propangasbrenner auf Dachpappen seine Kopfbäume.

Beton- schade, daß Beton nicht brennt, so waren in den 70ern von den 68ern gemalte Parolen auf den Sünden der Architekten und der Bauleute zu lesen. Und in der Tat Beton ist unter den gängigen Werkstoffen wie Stahl und Holz, derjenige der dem Feuer am längsten standhält. F90 flüstern die Betonverfechter, das heißt, daß Beton eine Feuerbeständigkeit unter bestimmten Voraussetzungen von 90 Minuten besitzt, während Stahl sich verbiegt und Holz vor sich hin lodert.

Diese Ausstellung hier in Ettlingen kommt nach Auffassung von Rennertz für ihn eineinhalb Jahre zu früh, da er sich mitten in einer neuen Werkphase befindet: Beton und armierender Stahl haben Einzug in sein Schaffen gefunden und in ersten Kreiselfiguren ihre Ausbildung gefunden.

Von Künstlern wird angenommen , daß sie bis zum 50. Lebensjahr etwa als junge Künstler zu gelten haben, dann schließe sich bis zum Ende der 70 , die gereifte Schaffensperiode an, die dann ab 80 in das Alterswerke münde. Ist das jugendliche Feuer bei Karl Manfred Rennertz in eine Phase der Mannesreife gemündet, kommt zu den zwei Urelementen Luft und Feuer, jetzt noch das Wasser und die Erde hinzu, mit denen er den Beton anrührt?

„An dem Platz , an dem ich aufgewachsen bin, wird seit 1000 Jahren Keramik hergestellt.“ habe ich eingangs zitiert.

Ich sehe seine Arbeit mit Beton eher als die Schließung eines Kreises einer Aufnahme des Werkstoffes seiner Vorfahren, denn auch Zement besteht zu einem Anteil aus Ton. Und Zement ist bevor er mit Wasser reagiert und im Zyklus des Mondes, nämlich in 28 Tagen als Beton aushärtet, auch gebrannt worden. Die Bäume werden einstweilen weiter wachsen.

zunächst möchte ich mich herzlich bedanken für die freundliche Einladung, Ihnen zur heutigen Eröffnung der Ausstellung mit Werken von Karl Manfred Rennertz eine kleine Einführung zu geben. Ich bin der Einladung in das Deutsch-Französische Kunstforum hier im wunderschönen Schloss Vaudrémont sehr gerne gefolgt, zumal ich den Arbeiten des Bildhauers in den vergangenen Jahren auf Ausstellungen und auch in unserem Museum in Karlsruhe mehrfach begegnet bin. So hatte ich in den zurückliegenden Jahren immer wieder die Gelegenheit, die Entwicklung seiner künstlerischen Arbeit und seinen Weg als Bildhauer zumindest in wichtigen Ausschnitten mitzuverfolgen. Ein herzliches Dankeschön möchte ich auch an Frau ……. richten, die meinen deutschen Text für diese Einführung ins Französische übersetzt hat.

Meine Damen und Herren, die Strafe, die Prometheus traf, war sehr hart: für eine Ewigkeit sollte er nach dem Willen der Götter an einen Felsen gekettet bleiben, hoch oben, einsam, nur dem Adler zugänglich, der ihm immer wieder die nachwachsende Leber aus dem Leib riss. Diese Strafe traf ihn, weil Prometheus, der rebellische Titan und erste Künstler, den Menschen das Feuer brachte und ihnen dadurch eine höher entwickelte Lebensform ermöglichte. Auf diese Weise revolutionierte er das menschliche Leben und zerstörte zugleich sein eigenes.

Herakles endlich setzte seiner Qual ein Ende, die Dialektik des Feuers blieb jedoch in der Welt: Lebenserhaltend und lebensnotwendig ist es, aber es ist auch verheerend und alles verschlingend. Es erhält und es zerstört, es schafft Wärme und helles Licht, aber auch tiefschwarzen Ruß. Karl Manfred Rennertz hat diese dialektische Kraft des Feuers seiner Kunst dienstbar gemacht.

Mittlerweile ist es fast genau zwanzig Jahre her, dass anlässlich einer Ausstellung in Nordhorn auf eine seiner großen Holzskulpturen ein Attentat verübt wurde: Sie wurde mutwillig mit Öl übergossen und in Brand gesteckt. Diese auf Vernichtung eines Kunstwerks zielende Attacke eröffnete dem Bildhauer jedoch ganz neue künstlerische Perspektiven. Die Skulptur widerstand dem Feuer und ging daraus – wie Phönix aus der Asche – neu hervor: als vom Feuer geschwärzte „Große Nordhornerin„, die sich heute im Besitz des Centre Pompidou in Paris befindet.

Karl Manfred Rennertz erkannte sofort das gestalterische Potenzial und die ungeahnten Möglichkeiten, die sich nun für seine eigene Arbeit eröffneten. Geschult durch die solide künstlerische Ausbildung an der Kunstakademie Düsseldorf in den 1970er Jahren, u.a. als Meisterschüler von Prof. Alfonso Hüppi, setzte er diese neuen Impulse konsequent um. Die Wandlung vollzog sich nicht im Sinne eines Bruchs oder einer scharfen Zäsur in seinem Schaffen, sondern als zunächst tastende, dann immer klarer heraustretende gestalterische Methode, mit der Materie Holz schöpferisch umzugehen.

Karl Manfred Rennertz ist Bildhauer und arbeitet – wenn er mit seinem wichtigsten Material, dem Holz, umgeht – im klassischen Sinne skulptural: Er nimmt weg, um aus den Holzstämmen das herauszuarbeiten, was er in ihnen angelegt sieht. Sein bevorzugtes Werkzeug ist die Kettensäge, ein durchaus martialisches Instrument, das der Künstler jedoch einfühlsam und mit Respekt für das Eigenleben seines Materials einsetzt. Als erster Bildhauer der jüngeren Generation hat er vor rund zwei Jahrzehnten diese Arbeitsinstrument für sich entdeckt. Es erlaubt keine kleinteiligen, feinen Schnitzarbeiten, sondern hinterlässt im Gegenteil kantige, keilförmige Einschnitte und eine spröde, splittrige, von unzähligen Schürfungen und Schrunden belebte Oberfläche.

Bäume als Naturskulpturen, die durch ihre aufrechte Statur Parallelen zum Menschen aufweisen, faszinieren den Bildhauer schon lange. Und so erstaunt es auch kaum, das anthropomorphe bzw. vegetabile Bezüge bei fast allen seinen Arbeiten auszumachen sind, freilich in verzerrten, eigenwilligen Proportionen und expressiven Gestaltgebungen. Stets ist die Form aus dem Stamm heraus entwickelt, auf dessen Rundung und innere Struktur zurückbezogen. Aufgrund dieser spezifischen bildnerischen Sprache hat man Rennertz´ Skulpturen oftmals dem sogenannten Neuen Expressionismus zugeordnet, ohne dass diese Etikettierung seiner Kunst jedoch tatsächlich gerecht werden könnte.

Seine Vorgehensweise erfordert präzise Vorarbeit, d.h. detaillierte Konzeption und Komposition. So entwickelt Karl Manfred Rennertz seine Vorstellungen zunächst auf dem Papier und legt seine Bildwerke in Vorzeichnungen genau an. Danach überträgt er sie auf den Baumstamm, um anschließend alles Überflüssige an Materie zu entfernen. Die Schwärzung der Oberfläche mit Hilfe eines Flammenwerfers – auch hierbei bleibt nichts dem Zufall überlassen – ist der letzte Arbeitsschritt. Das Holz ist dann nicht mehr Zypresse, Tulpenbaum oder Mammutbaum, sondern nur in der durchaus erkennbar bleibenden Spezifik seiner Bearbeitung gibt es sich noch als Hart- oder Weichholz zu erkennen. Durch das Feuer erhalten die Skulpturen eine weiche schwarze Hülle, eine matt-dunkle, samtene, lichtverschlingende Patina, eine schwarze Aura, hervorgegangen aus energetischer Verdichtung. Dabei ist das Rohmaterial des Künstlers, das Holz, ja bereits selbst eine Verdichtung, geschaffen aus Erde, Wasser, Luft und Licht. Das Feuer – in der alten Naturphilosophie der Ursprung allen Seins und eine besondere Erscheinungsform des Lichts – fügt Rennertz hinzu und schließt so den Kreis der Elemente.

Die Ausstellung, die heute hier in Schloss Vaudrémont eröffnet wird, thematisiert ein Phänomen, das in seiner uns geläufigen Erscheinung zweidimensional und nicht greifbar ist, das keine Farbe hat und in der Nacht verschwindet, um das sich in seiner rätselhaften Erscheinung viele Geschichten und Mythen ranken: der Schatten. Der Titel der Präsentation – „Le corps de l´ombre„ – macht neugierig, indem er implizit Fragen aufwirft. Offensichtlich geht um etwas, das auf den ersten Blick als Paradox erscheint: Was für eine Beziehung besteht zwischen Körper und Schatten, zwischen einem Volumen – sei es Mensch oder Tier, Pflanze oder Haus – und seinem dunklen Antipoden? Kann ein Schatten einen Körper haben und wie ist dieser darstellbar, vor allem: wie ist er plastisch-bildhauerisch darstellbar? Um solche und andere Fragestellungen kreist die Ausstellung, für die Karl Manfred Rennertz eine neue Werkgruppe, ein eigenes Ensemble mit einer ganz besonderen Beziehung zu Schloss Vaudrémont geschaffen hat.

Viele der ausgestellten Werke sind nicht nur hier vor Ort, im Dialog mit diesem Ort und seiner spezifischen Aura und somit ganz auf ihn bezogen entstanden, sondern zu einem gewichtigen Teil auch aus Material, sprich Baumstämmen, die hier – im wahrsten Sinne des Wortes – ihre Wurzeln hatten. Dabei handelt es sich um Bäume aus dem hiesigen Schlosspark, die der zerstörerische Sturm am Jahresende 1999 forderte, insbesondere um eine uralte Sumpfzypresse, die einst durch ihre gewaltigen Ausmaße den Garten bewacht und beherrscht hat. Hier, an ihrem Herkunftsort, sind die ihrer natürlichen Lebensfähigkeit beraubten Naturelemente in Kunstobjekte verwandelt worden, und ohne Frage ist auf diese Weise auch etwas von ihrer Geschichte und ihrer Umgebung in die Gestaltung mit eingeflossen.

Lassen Sie uns nun die Ausstellung im Inneren des Schlosses betrachten und die fünf Räume imaginär durchschreiten. Sie sind nicht als isolierte Einzelelemente zu sehen, sondern untereinander eng verbunden und weisen auch im Wechselspiel der Wahrnehmung von innen und außen vielfache Bezüge auf – zu den Skulpturen im Außenbereich, also dem im Burggraben schwimmenden Boot, das wir später noch brennend erleben werden und zum goldenen Kristall im Innenhof, aber auch zur unmittelbaren Umgebung des Schlosses und zur umliegenden Landschaft.

Im ersten Raum nimmt eine hohe, schwarze, vollplastisch gearbeitete Figur den Blick gefangen. Sie stellt in ihrer kantigen Rhythmisierung der Volumen nicht nur den Bezug zur bisherigen künstlerischen Arbeit von Karl Manfred Rennertz her, indem sie exemplarisch für seine skulpturalen Werke der letzten Jahre steht, sie schafft vielmehr auch die innere Verbindung zu den folgenden Kabinetten und insbesondere zum letzten Raum. Mit ihr beginnt ein Spannungsbogen, der unter anderem die Verwandlung der Skulpturen von der körperhaften Existenz zum schattenhaften Sein anschaulich werden lässt. Flankiert wird sie von vier archaisch wirkenden, farbig bemalten Kopfreliefs, die – einer Ahnengalerie gleich – an der Wand aufgehängt sind. Ihnen antworten als geheimnisvoll-suggestive Silhouetten im folgenden Raum zwei schwarze Masken wie dämonische Schatten. Innen und außen verschränken sich hier besonders eindrucksvoll: Während der kleine Brunnen in der Zimmerecke mit der aus grünem Beton modellierten Maske die Bewegung des Elementes Wasser als fließende, strömende Materie auch akustisch vergegenwärtigt, wirkt die außenliegende Wasserfläche des Schlossgrabens dagegen wie ein ruhiger, unveränderlicher Spiegel, aus dem sich eine mächtige Schlange windet.

Im dritten Raum wird das Thema Wasser erneut aufgegriffen, nun jedoch unter anderen Vorzeichen. Hier ist die Situation des Außenbereichs in das Innere übertragen, der Raum selbst gleichsam zur Wasserfläche geworden: Zwei seerosenartige Gebilde liegen am Boden, eine kleines, goldenes Boot, ähnlich jenem im Schlossgraben, zieht an diesem Platz seine stille Bahn. Im friedlichen Nebeneinander begegnen sich eine der Natur entlehnte, freilich stark stilisierte Form und eine Urform der menschlichen Kulturgeschichte als archetypisches Zeichen und fügen sich zu einem geheimnisvoll entrückten Bild. Von hier aus geht es weiter in das nächste Kabinett mit kleineren Bronzeplastiken, die an Türme aus tanzenden, aufeinander gesetzten Kegeln erinnern, und mit drei großformatigen, leuchtend farbigen Gouachen an der Wand, die jene Bronzetürme im zweidimensionalen Bereich eigenständig paraphrasieren. Auf diese Weise eingestimmt, erreicht der Betrachter schließlich den letzten, den fünften Raum, den Hauptsaal der Ausstellung und Zielpunkt der Raumabfolge.

Hier werden wir in einer geradezu beklemmenden Intensität konfrontiert mit einem überdimensionalen Menschenpaar: Schattenmann und Schattenfrau, so schwarz wie der Schatten, den sie werfen; zwei fremdartig anmutende Wesen, die aus dem Stamm der Sumpfzypresse des Schlossparks herausgeformt wurden. Die Kompaktheit der Volumen, die noch jene Figur im ersten Raum zeigt, ist verloren; die Körper sind an ihrer Rückseite ausgehöhlt, negieren alle Plastizität und sind wahrhaftig zu Schatten geworden – aber diese Schatten haben auch einen eigenen Körper, genauer: sind selbst Körper geworden. Der Bogenschlag zurück zum ersten Raum ist vollzogen, die Wandlung vollbracht. So löst sich das eingangs erwähnte Paradox und öffnet – zusammen mit den weiteren Elementen der Ausstellung, dem Boot und dem glänzenden Kristall im Außenbereich – ein weites Feld der Assoziationen: Sind es vielleicht die Schatten der Unterwelt, denen wir hier begegnen? Steht der goldene Kristall als Symbol für eine festlich gestimmte, wenn auch vergängliche Diesseitigkeit als Gegenwelt zum Schattenreich? Und schließlich das goldene Boot im Schlossgraben – ist es eine Fähre, die den Wechsel der Welten ermöglicht? Die vom Licht zur Dunkelheit führt oder vielleicht eher vom Schatten ins Licht?

Meine Damen und Herren, Sie merken schon, dass ich am Ende meiner kleinen Einführungsrede keine festgelegte und verbindliche Interpretation für diese vielschichtige und phantasievolle Ausstellung anbieten möchte. Dazu ist das Skulpturenensemble, das Karl Manfred Rennertz für Schloss Vaudrémont geschaffen hat, viel zu komplex. Man kann sich ihm auf mehreren Ebenen und mit ganz verschiedenen Fragen nähern und wird – je nach Art der Fragestellung – auch unterschiedliche Antworten erhalten. Die jeweils wichtigen und entscheidenden Fragen kann jedoch nur der einzelne Betrachter für sich selbst an die Kunstwerke richten. Dann fangen sie an zu sprechen und erzählen uns ihre Geschichte.

Wir sind nun eingeladen, uns auf den Dialog mit den Werken von Karl Manfred Rennertz einzulassen, und ich wünsche dabei Ihnen, meine Damen und Herren, viele interessante und bereichernde Entdeckungen und der Ausstellung für die kommenden Wochen guten Erfolg und lebhafte Resonanz. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

zur Eröffnung der Ausstellung „Moving Woods“
in der Galerie im Prediger, Schwäbisch Gmünd
am 4. April 2003

Kein künstlerisches Material besteht nur aus seinen materiellen Eigenschaften. Das gilt wohl für Holz mehr als für jeden anderen Werkstoff. Holz wird aus Bäumen gewonnen. Mit Bäumen fühlt sich der Mensch verbunden. Vielleicht, weil man in den Baum eine menschliche Gestalt hineinsehen kann (Wurzeln als Füße, Äste als Arme), vielleicht auch, weil der Mensch von den Früchten, dem Holz und dem Sauerstoff lebt, das Bäume produzieren. Wichtiger aber ist: Ein Baum verkörpert Beständigkeit im Wandel, lebendige Kontinuität, Lebensdauer. Deshalb werden Stammbäume als Bäume dargestellt, deshalb wünscht sich Luther, im Alter noch ein Apfelbäumchen zu pflanzen. Deshalb lassen sich in der antiken Sage die beiden Liebenden Philemon und Baucis in Bäume verwandeln, damit ihre Liebe lebendig bleibt und doch überdauert. Selbst wenn ein Baum abgestorben ist, „arbeitet“ sein Holz weiter. Von der Frühzeit des Menschen bis in die deutsche Romantik waren Bäume und Wälder mythisch besetzt, belebt und voller Geheimnis. „Es ist, als ob jeder Baum auf dem Lande zu mir spräche: heilig, heilig“ (Beethoven).

Wenn Karl Manfred Rennertz sich für Holz als seinem wichtigsten, fast seinem einzigen Material entscheidet, dann arbeitet er nicht nur mit dem „lebendigen Material Holz“ (Brancusi), sondern zugleich auch mit dem emotionalen und mythischen Material. Der Künstler ist sich dessen natürlich sehr bewusst. Nicht von ungefähr lässt er seine Figuren gern an dem Ort entstehen, an dem sie ihre neue Heimat finden sollen. Sie sollen im Einklang mit der Atmosphäre des Ortes entstehen und stehen. Sie sollen nicht als Fremdkörper wahrgenommen werden, sondern sich einfügen in einen größeren Organismus.

Die Baumstämme, die Karl Manfred Rennertz geschenkt bekommt (zur kostenlosen Entsorgung), bearbeitet er mit der Kettensäge. Bis vor kurzem war es immer der Kern des Stammes, den er herausgearbeitet und geformt hat. Der Kern als Kraftzentrum. Daraus ließ und lässt er Figuren entstehen, die archaisch wirken (wie die Schattenfiguren), plump und sehr massiv in ihrer Körperlichkeit

Als Versuch, die Idee des Menschen zu finden, dem der Mensch im Baum begegnet – so könnte man Karl Manfred Rennertz Figurationen umschreiben. Man sieht, dass den Künstler dabei die Faszination, die von der Expressivität afrikanischer Skulpturen ausgeht, beeinflusst hat. Deren Deformationen betonen die Leiblichkeit der Figur (man sieht förmlich das Gewicht einzelner Körperteile) und zugleich ihre Geistigkeit: Es sind schließlich Göttergestalten, die überindividuelle Lebensprinzipien wie Fruchtbarkeit, Erdverbundenheit, Weiblichkeit, Menschsein usw. verkörpern. Rennertz’ Gestalten sind diesen Zusammenhängen verbunden.

Wenn Karl Manfred Rennertz einen Baum mit der Kettensäge bearbeitet, fühlt er, wie er erzählt, die kraftvolle Schwingung des Stammes. Diese Energie überträgt er in seine Gestalten. Deshalb sind die Figuren nicht nur plump und unbeweglich, sondern auch spannungsvoll bewegt, dynamisch und stellenweise sogar elegant. Das ist eine sensible Gratwanderung zwischen Dynamik auf der einen und Schwere, Beharrung, Erdung auf der anderen Seite, die sich in den Figuren findet.

In der letzten Zeit ist es statt des Kerns eher die Hülle, die Karl Manfred Rennertz interessiert. Die Ausstellung zeigt das deutlich: Sie sehen das Boot, das man zugleich als Schale deuten kann oder als weibliches Sexualorgan, Sie haben die zweiteilige Wandarbeit mit einer Positiv- und einer Negativform. Am deutlichsten zeugen die Masken und die zwei Schattenfiguren davon. Es ist nun nicht mehr die Mitte, die die Kraft der Figuren ausmacht, sondern die Spannung, die sich zwischen zwei aufeinander bezogenen Formen entwickelt. Wie die Wandarbeit aus der Dialektik von Innen und Außen lebt, so sind auch die Schattenfiguren aus der Vorder- und der Rückseite eines Baumstamms gebildet. Sie sind ein Mann und eine Frau. Damit erinnern sie an die altgriechische Vorstellung, der Mensch sei wie eine Halbkugel auf der Suche nach der andersgeschlechtlichen komplementären Seite der Kugel, mit der zusammen erst sich der einzelne ganz fühlen kann.

Innen sind die Figuren ausgehöhlt. Karl Manfred Rennertz sagt, er wollte den Schatten einer Gestalt bilden: „Hat ein Schatten eine Gestalt?“ fragt er. Der Schatten ist ähnlich auf eine Form, also auf ein Etwas bezogen wie eine Schale auf ihren Inhalt. Schatten und Schale sind geformte Materie, und doch nur Abglanz und Hülle der eigentlichen Gestalt, die im Verborgenen bleibt, die (sozusagen) ausgesprochen-unausgesprochenes Geheimnis bleibt. Zudem hat der Künstler die Figuren geschwärzt. Und zwar geschwärzt, indem er sie angezündet und angebrannt hat. Die Figuren brannten lichterloh, aber regelrecht verbrennen kann man solch massive Holzklötze kaum. Man kann sich vorstellen, wie eindrucksvoll so eine gigantische Figur brennend aussieht: schön, leuchtend, machtvoll und gefährlich.

Es geht dem Künstler dabei nicht nur darum, dass die Skulpturen schwarz aussehen sollen. Rennertz fügt nicht einfach eine Farbe hinzu. Das Holz hat vielmehr eine Verwandlung durchgemacht, es ist regelrecht durchs Feuer gegangen. Die Figuren bleiben zurück als Gezeichnete.

Wichtig erscheint mir, dass Energie – und zwar loderndes Feuer, also Energie in höchster Konzentration – die Figuren nicht zu zerstören vermochte. Es transformiert sie.

Das Thema der Form-Verwandtschaften und Verwandlungen begegnet uns in Karl Manfred Rennertz’ Werk insgesamt wie ein roter Faden. Viele seiner Menschenfiguren sind genauso plausibel als pflanzliche Gebilde zu deuten. Die Masken erzählen schon qua Motiv von der Kunst der Verwandlung. Das Boot changiert, ich erwähnte es, zwischen der Deutung als Boot, als Schale, als Vulva, und tritt in Beziehung zu den drei Wandarbeiten. Die Säulen („Lichtentaler Allee“) ihrerseits erscheinen als Zwischenformen zwischen architektonischen und organischen Elementen, sie wirken gleichzeitig gebaut und gewachsen. „Keinem bleibt seine Gestalt“, heißt es in Ovids Metamorphosen, und Ovids Protagonisten verwandeln sich in Bäume und andere Formen. Rennertz’ Bäume verwandeln sich in Figuren und seine Figuren in Schatten und anderes.

Ebenso wie von der Mehrdeutigkeit der Formen leben Rennertz’ Skulpturen aus Gegensätzen. Organisch Gewachsenes steht geplanter Architektur gegenüber, um nochmal auf die „Lichtentaler Allee“ zu kommen. Das Organische trifft aber auch auf kristalline Strukturen, wie sie im „Kristall“ zu sehen sind. Das Innen steht in Spannung zum Außen. Plumpe, schwere Leiblichkeit steht fragilen Elementen gegenüber, konkave Formen ihren konvexen Pendants. Der auffälligste Gegensatz betrifft aber die Farbigkeit. Den größten Kontrast zur Schwärzung durch Feuer fand Karl Manfred Rennertz im Auflegen von Gold. Echtes Blattgold, das wertvollste und strahlendste Material, legt er in hauchdünnen Platten auf die Holzoberfläche und streicht es darauf fest. Das Gold verbindet sich nicht mit dem Holz, es bleibt äußerlich, wie ein Schmuck, der den Skulpturen umgelegt wird. Oder wie ein reizvolles Gewand, das einen Körper umschließt. Wie eine Hülle.

Farbigkeit spielt für Rennertz Figuren überhaupt eine große Rolle. Manchmal denke er, so sagt er, dass er seine Skulpturen eigentlich nur gemacht habe, um sie bemalen zu können. Schwarz und Weiß sind dabei besonders wichtig, mit diesen Farben wird die plastische Form akzentuiert. Daneben ist es vor allem das Rot, das immer wiederkehrt. Rot ist der zweite große Kontrast zum Schwarz, die Farbe der Lebendigkeit und der Energie, wohl auch deshalb, weil keine andere Farbe eine so breit gefächerte Palette an Farbdifferenzierungen und –klimata zulässt. Die differenzierte, malerische Farbigkeit und besonders die Rottöne betonen Rennertz’ Hang zur Sinnlichkeit und noch einmal sein Interesse am Verhältnis von Oberfläche zum Volumen. Die rote Farbe entspricht natürlich auch dem Feuer. In den Flammen scheint die ganze Palette der möglichen Rottöne auf. Das Feuer ist als immaterielle Energie und in seiner Flüchtigkeit wohl der größte Gegensatz zur Dauer verkörpernden Materialität des Holzes. Karl Manfred Rennertz addiert die Gegensätze nicht nur, er lässt sie miteinander agieren, und dadurch etwas Neues entstehen.

Karl Manfred Rennertz ist mit seinen Skulpturen einen langen und doch schließlich folgerichtigen Weg gegangen. Zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn formte er sehr präzise, sehr naturalistische Porträtfiguren. Damit war er einer der ersten, noch vor Georg Baselitz, die die menschliche Figur nach Jahren der Abstraktion wieder in die Bildhauerei eingebracht haben. Gemeint war zunächst der einzelne, individuelle Mensch. Nach einigen Jahren wurden seine Figuren abstrakter. „Es gab eben keine Leute mehr, die Porträtskulpturen bestellten“, erklärt der Pragmatiker Karl Manfred Rennertz. Wir dürfen annehmen, dass es noch andere genauso zwingende Gründe gab: Dass sich nämlich das künstlerische Interesse dem Menschenbild genereller zuwandte. Schließlich formte der Künstler neben der Figur auch andere Dinge, wie jetzt das Boot. Sie existieren jedoch nur in Beziehung zur Figur, denn sie zeigen, dass der Mensch mit allen Dingen und Formen verbunden ist. Ich denke, dass Karl Manfred Rennertz mit dieser Entwicklung vor allem auch dem Material Holz in seinen nicht-materiellen Eigenschaften und Inhalten nachspürte und diesen Inhalten eine Form zu verleihen versuchte.

Bei allem Assoziations- und Bedeutungsreichtum haben Rennertz’ Skulpturen überhaupt nichts Angestrengtes. Man sieht ihnen eine fast unbefangene Experimentierlust an. Das Boot etwa ist auch aus einer kindlichen Schaffens- und Abenteuerfreude heraus entstanden. Der Künstler strahlt, wenn er erzählt, dass es tatsächlich schwimmen kann.

Er hat es übrigens auch schwimmen lassen, letztes Jahr auf einer Ausstellungseröffnung auf dem Burggraben des Chateau de Vaudrémont, lichterloh brennend.

So trafen sich mühelos, fast spielerisch alle vier Elemente – Feuer, Wasser, Luft und Erde (Baum, Goldbemalung) – in einem Bild, das ebenso Flüchtigkeit wie Dauer hat. Wenn komplexe Zusammenhänge sich in einfachen Bildern verdichten, haben wir das Gefühl, von einem Stück Wahrheit berührt zu werden.

Karl Manfred Rennertz – Die expressive Geste

Kraftvoll-urtümlich und gleichzeitig sorgfältig kalkuliert, das kennzeichnet die „expressive Geste“ in Karl Manfred Rennertz’ Holzskulpturen. Sägend und raspelnd, mit Feuer und Farbe überführt er die Gestaltungsmittel der abendländischen Bildhauertradition, Anregungen expressionistischer Holzbildwerke, die Kantigkeit Afrikas in zeitlos sublimierte Formen.

Holz ist die Basis und gleichzeitig elementares Ausdrucksmittel seines bildhauerischen Schaffens. Dabei geht es Karl Manfred Rennertz nicht um eine bewusste Entscheidung gegen den Stein, gegen das immer schon dagewesene, ewige Material, das eher erdgeschichtlichen denn menschlichen Zeitmaßstäben unterliegt. Gleichwohl ist die temporale Komponente eine konstituierende Qualität von Holz. Im Holz steckt Zeit. Die Zeit, in der der Baum wächst, die Jahre der Lagerung und Trocknung im Rennertz’schen Atelier oder auf dem umgebenden Gelände, bis der Stamm reif zur Bearbeitung ist. Immer bleibt das Holz dabei offen. Es nimmt auf, es gibt ab. Holz quillt, trocknet und reißt. Holz arbeitet, solange es existiert. Holz als natürlicher Rohstoff unterliegt den gleichen Mechanismen des Wachsens und Werdens und des Sterbens und Vergehens wie der Mensch. In diesem Sinn ist Karl Manfred Rennertz’ Arbeit mit gefällten oder abgestorbenen Bäumen immer auch eine Art Lebenszeitverlängerung, bei der der ausgediente oder für die industrielle Weiterverarbeitung uninteressante Stamm im Kunstwerk zumindest für eine gewisse Zeit dem Verfall entzogen ist. Nachdem er dem Holz seine künstlerische Form verliehen hat, begrenzt er dessen Offenheit zwar, indem er die Skulpturen mal sporadisch, mal großflächig bemalt, aber er verschließt das Naturmaterial nie ganz. Nicht zuletzt deshalb gelingt es den Figuren, gleichzeitig organisierte, gestaltete plastische Masse und lebendige Form zu sein. Karl Manfred Rennertz vermeidet dadurch jeglichen Eindruck einer perfektionistischen Materialsprache, die auch in der Kunst den Werkstoff Holz längst erreicht hat. Die materielle Wirklichkeit des Materials selbst bestimmt die Kraft seiner Figuren. Die Ausgangsbasis für seine skulpturalen Bildwerke ist immer das massive, industriell unbearbeitete volle Stammholz, aus dem die Form mittels Kettensäge herausgearbeitet wird. Die Kettensäge macht sowohl eine Veredlung als auch ein Aufheben der Naturhaftigkeit unmöglich. Das Holz seiner Skulpturen bleibt daher immer auch ein Stück weit ungestaltet. Nie werden verschiedene Werkstücke bildnerisch zusammengesetzt, immer sind die Formen aus einem einzigen gewachsenen Stück Holz herausgesägt. Dazu muss der Bildhauer die Skulptur in die natürlichen Dimensionen des Holzes hineindenken, die Wachstumsstrukturen des Stammes erkennen und nutzen, um vorhersehen zu können, welche Eingriffe es braucht, um bei minimalem Materialverlust dem Stamm das Bildwerk abzuringen. Karl Manfred Rennertz umreißt in einer Zeichnung oder direkt auf dem Stamm schwarz und weiß die Silhouette seiner Figuren, um sie anschließend mit gezielten Sägeschnitten vom umgebenden Material zu befreien.

„Schwarze aus Lüttich“

Oft lässt der Sockel den ursprünglichen Umriss des Stammab- oder -ausschnitts noch gut erkennen, besonders deutlich bei einer Figur wie der Schwarzen für Lüttich [Abb. 1]. Unbearbeitet belassen dokumentiert er, wie genau Karl Manfred Rennertz die Figur in den Stamm hineinkomponiert. Der künstlerische Prozess beginnt mit der (Wieder)Aufrichtung des Stammes, der das vormals liegend gelagerte Holz zum menschlichen Pendant werden lässt. Der erste Schnitt mit der Säge definiert dann das vorher ungerichtete bildhauerische Volumen und legt die Ansichtsseite der Skulptur fest. Von dort aus bereinigt der Künstler die menschliche Figur von allem Überflüssigen, so dass die Körperteile zu geometrischen Einzelformen reduziert werden. Im Fall der Schwarzen für Lüttich aus dem Jahr 2002 ist die gesamte Figur aus prismatischen Dreiecksformen unterschiedlicher Größe aufgebaut. Zwei große Einzelformen fungieren als Bein/Fuß- und Hals/Kopfbereich. Sie rahmen einen aus weiteren Prismen gebildeten Torso ein, bei dem die Grenzen zwischen Schultern und Armen, zwischen Händen und Hüfte verwischen. Allein Schultern und Beckenknochen sind jeweils durch markante Spitzen bezeichnet. Schulter- und Hüftlinie sind gegensätzlich geneigt und verleihen der Figur eine zusätzliche Dynamik, eine federnde Eleganz, die dem gotischen Schwung verwandt ist. In der ausgewogenen Ponderation der abstrahierten Körperformen findet sich das klassische abendländische Kompositionsschema des Kontraposts wieder. So macht Karl Manfred Rennertz für seine abstrahierte universelle Darstellung der menschlichen Figur tradierte bildhauerische Gestaltungsmerkmale fruchtbar.

„Schwarzes Paar“

Bei aller konzeptuellen Präzision lebt aber immer ein gewisses Maß an roher Unmittelbarkeit und impulsiver Kraft in den unverschliffenen Arbeitsspuren fort. Davon zeugen besonders die beiden Figuren des Schwarzen Paares [Abb. 2] aus dem Jahr 2002, die zudem eine deutlich archaischere Formensprache als die Schwarze für Lüttich prägt. Anstatt die Körperteile zu geometrischen Formen zu abstrahieren, verdichtet Karl Manfred Rennertz hier Beine, Rumpf und Kopf zu stereometrischen Volumina. Seine kraftvolle Präsenz erhält das Schwarze Paar durch eine fast schon aggressive Formensprache, die die Körper mittels tiefer Fugen zu zerschneiden droht. Ihr Volumen wird durch das Aufeinandertreffen von Flächen definiert, deren Stoßkanten ein hohes Maß an formaler Energie transportieren. Der Rumpf ist tief zwischen die kräftigen Beine eingefügt, und im lastenden Stehen scheint die Verwandtschaft mit afrikanischen Skulpturen auf. Die hängenden Arme scheinen endlos lang und sind derart voluminös, dass die Rümpfe dadurch noch gedrungener wirken. Die Vehemenz, mit der hier das Prinzip der Formenaddition vorgetragen wird, ist diametral zur schwingenden Leichtigkeit der vertikal gereihten Dreiecksformen, die die Schwarze für Lüttich bestimmt. Dabei ist die Skulptur, obgleich vollplastisch gearbeitet, deutlich auf eine spezielle Ansicht hin ausgerichtet. Noch stärker gilt dies für Schwarzes Paar, das aus den beiden Halbschalen desselben Stammabschnitts geschaffen ist und dessen Rückseiten ausgehöhlt sind. Tiefe vertikale und horizontale Schnitte zeugen rückseitig von der Vehemenz der Materialextraktion.

Auf der Vorderseite des feuergeschwärzten Figurenpaares wurden die Sägespuren und Spanreste durch die form- und farbvereinheitlichenden Flammen jedoch getilgt. Die holzkohleartige Oberfläche scheint dabei jegliches Licht zu absorbieren. Da Licht und Schatten für den Betrachter Form erst erfahrbar werden lassen, reduziert sich auch die räumliche Wahrnehmbarkeit der Skulpturen. Die plastische Masse verdichtet sich und lenkt die Aufmerksamkeit von der zuvor lebendigen Oberflächenbeschaffenheit auf den Zeichencharakter der tiefschwarzen Gesamtform. Dieser wird durch die monumentale Größe und Reliefhaftigkeit der Figuren noch verstärkt.

„schwarze Maske“, „finnische Maske“

Die ebenfalls feuergeschwärzte Maske [Abb. 3] aus dem gleichen Jahr ist zwar auch hinten ausgehöhlt, entzieht sich jedoch durch ihre Überlebensgröße und durch die Einheit mit dem blockhaften Sockel ihrem eigentlichen Verwendungszweck. Andere Masken wie Finnische Maske [Abb. 4] von 2004, sind noch nicht einmal ausgehöhlt, sondern sind schlicht bemalte Form. Es bleibt kein Raum für Spekulationen, nichts, was die Funktion einer Maske, die Verwandlung in eine andere Wesenheit, im Rollenspiel noch ermöglichen würde. Auf seine zeichenhafte Bedeutung reduziert, erzeugt das Werk eine abgeschlossene, selbstständige künstlerische Wirklichkeit, und seine Aura beruht, auf diese Weise vielleicht den Skulpturen Afrikas verwandt, allein auf plastischer Potenz.

Während das Schwarze Paar aus zwei Stammhälften entstand und die Rundung des Stammes, die im Sockel noch zu erkennen ist, den bildhauerischen Zugang von außen bezeugt, ist für Innen [Abb. 5] der ganze Stamm gespalten worden. Zusammen mit Schwarzes Boot im Roten Meer [Abb. 6] und einer weiteren Arbeit entstand es aus dem gleichen Stammabschnitt.

„Innen“, „Schwarzes Boot im Meer“

Das hochrechteckige Relief aus dem Jahr 2003 kündet also im Titel sowohl von seiner ursprünglichen Verortung im Stamm als auch von den inhaltlichen Dimensionen des Kunstwerkes. Die Spuren der Aushöhlung, bei Schwarzes Paar und Maske ausschließlich rückseitiges Resultat der Materialentnahme, sind hier zum vollgültigen Gestaltungselement auf der Schauseite geworden, das den Eigenwert der Oberflächengestaltung verdeutlicht. Zudem lenken die horizontalen Säge- und diagonalen Schnittspuren den Blick des Betrachters in Richtung der vertieften Mittelachse. An den Längskanten und Ecken dagegen lässt Karl Manfred Rennertz die Rundung des Stammes, die feuergeschwärzte „Außenhaut“ mit ihren Knorren und Astansätzen in das fleischig rot bemalte Bildfeld hineingreifen und verstärkt so die Anmutung eines freigelegten Körperinneren. Diese resultiert besonders aus der Bemalung. Auf eine schwarze Grundierung wird warmes Rot flächig aufgetragen. Dabei bleibt in den tiefen Furchen dunkle Farbe weiterhin sichtbar. Rot und Schwarz greifen ineinander, überlagern sich – bekräftigen sich gegenseitig. Indem sie ihre eigene malerische und materielle Autonomie bestätigen, versehen sie die Holzbildwerken fast immer innewohnenden „Reste von Natur“ endgültig mit einem, wie Karl Manfred Rennertz sagt, „künstlerischen Make-up“.
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Karl Manfred Rennertz gelingt es, in seinen Bildwerken dem Material Holz eine besondere Wirkungsmacht zu verleihen. Während die Oberflächentexturen den energischen künstlerischen Eingriff bezeugen, ihre übersteigerte Größe oder urtümliche Formensprache die schöpferische Kraft und Intensität des Ausdrucks übermitteln, bewirken Feuer und Bemalung eine Verfremdung und Entmaterialisierung des Werkstoffes zugunsten einer Konzentration auf die Form- und Farbwirkung. So wird bei Karl Manfred Rennertz die „expressive Geste“ zum Bindeglied zwischen Natur und Kunst, zwischen archaischer Gestalt und moderner Abstraktion.

(1) Zum Bildhauermaterial Holz allgemein vgl.: Stefanie Dathe. Holz in der Gegenwartskunst. In: unterHolz. Holz in der Gegenwartskunst. Ausst. Kat. Ravensburg 2002, S. 7.

Zur Einweihung des neugestalteten Goetheplatzes und der Skulpturen von Philemon und Baucis des Bildhauers Karl Manfred Rennertz am 20. Mai 2011 Philemon und Baucis kommen nach Baden-Baden Wir werden heute Zeuge von drei Verwandlungen. Sie betreffen den Platz um uns, die Kunst vor uns und den Stoff, der sie verbindet. Den müssen wir jetzt entdecken. Vom Balkon des Hauses Pagenhardt ertönt Musik der Bläser. Noch ist die Kunst verhüllt. Die Redner ergreifen nacheinander das Wort. Zuerst geht es um die Enthüllung. Nein, nicht der Kunst, sondern der Wahrheit. Denn wenn die beiden Alten unter ihrer Verhüllung heraustreten werden, ist dies nicht der „Schlusspunkt“ nach der Neugestaltung des Platzes, wie wiederholt angesagt, sondern es ist der bedeutende Auftakt. Ein Anfang, ein Auftritt der ganz besonderen Art. Die erste Verwandlung. Wo befinden wir uns gegenwärtig? Auf dem Goetheplatz. Vor dem Theater. Da fällt uns doch ganz von selbst das bekannte Stück von Doktor Faust ein: „Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten …“. Und dort heißt es gleich nach dem „Zuneigen! überschriebenen Anfang: „Vorspiel auf dem Theater“. Wir ändern das jetzt sofort und richtig in „vor dem Theater. Wo wir ja auch stehen. Aber wer spielt in unserem Fall nun mit? Da ist zunächst der Stückeschreiber. Er heißt bei uns Rolf Metzmeier und hat sich alles ausgedacht. Er hat auch gleich einen Regisseur mitgebracht, der das Stück in Szene setzt. Sein Name ist Markus Brunsing, von Beruf Gartenbaumeister. Natürlich wissen Stückeschreiber und Regisseur, daß man einen Hauptdarsteller braucht. Er tritt gleich aus der Kulisse. Es ist der berühmte Karl Manfred Rennertz. Auf diese Drei kommt es an. Das hat sich herumgesprochen. Und schon sind die Produzenten da, damit das Stück unter die Leute kommt: voran der Oberbürgermeister der Stadt Baden-Baden mit seinem Gemeinderat und dann die vielen Helfer und Helfershelfer. Sie werden am anderen Ort sicherlich aufgezählt und gewürdigt. Am Ende ist da noch der Stifter, und weil der Personenzettel schon recht lang ist, hat er zur Vereinfachung den Namen Rolf Metzmeier angenommen. Er stellt sich nicht groß heraus, sonder bleibt am Rande. Wie auf alten Bildern. Wir wollen uns das merken. Inzwischen hat sich der Goetheplatz in ein Proszenium verwandelt, mit drei Achsen – zum Theater hin, zur Stadt und zur Lichtentaler Allee. Eine schöne Bühne. Der Vorhang ist geöffnet. Erster Auftritt des Hauptdarstellers. Aber der Akteur Rennertz schweigt. Er kennt die Devise: Bilde Künstler, rede nicht, – und handelt danach. Statt seiner spricht der Souffleur. Er hat einen Spleen. Den sogenannten Schlusspunkt des Stücks mit der Aufstellung der Figuren am Goetheplatz erklärt er zum Ausgangspunkt der Geschichte, zum Anfang einer Inszenierung, die sich im Laufe der Zeit entwickeln und entfalten wird, unter dem wechselnden Himmelslicht des Jahres, sommerlich und winterlich, mit Pausen. Wie die Patina einer Bronze, aus der Philemon und Baucis gemacht sind. Heute ist nur das Vorspiel dran. Wie auf einer Drehbühne verschiebt sich die tägliche Kulisse. Die Fiaker fahren vorbei und ebenso das motorisierte Bimmelbähnchen mit seinem touristischen Publikum. Fußgänger schlendern über die neue Bühne und zücken Fotoapparate. Heute findet die Enthüllung, wie wir alle sehen, vor gut besetzten Rängen statt. Es kommen aber auch Tage und Nächte der Einsamkeit, des Zwielichts und eines menschenleeren Platzes. „Toutes les grandes passions se forment dans la solitude“ (Pierre Rosenberg), lautet das Motto für diese Stunden. Und damit sind wir wieder beim schweigsamen Hauptdarsteller Rennertz. Er hat mir sein Rollenbuch in die Hand gedrückt. Es ist vom März dieses Jahres, ein Heft mit Skizzen und Fotos. Hier meldet sich die Arbeit an der Kunst. Es finden sich darin Überlegungen zum Stellplan im Platzensemble, zur Höhe und zum Abstand der Skulpturen voneinander, über Größe, Höhe und Form ihres Sockels. Es sind in diesem Heft eingeklebt Fotografien der Modellvorlagen. Der Arbeitsprozeß an den Figuren ist dokumentiert. Man sieht das Stahlskelett mit dem Gipsaufbau, das Antragen und Abschlagen des Materials. Am Ende werden die Gipsmodelle der Skulpturen in Originalgröße zur Gießerei Casper nach Remchingen geschafft und hier für das Sandgußverfahren zweckmäßig zerlegt. Man sieht, wie negative Formteile in Formkästen gebettet werden. Nach dem Guß geht es an die Ziselierung und Patinierung. Am Montag, dem 16. Mai, ist es soweit: auf einem Lastwagen verlassen Sockel und Skulpturen die Gießerei und werden Stunden später am vorgesehenen Platz montiert. Das ist die Generalprobe. Nichts geht schief. Der Souffleur kann das Rollenbuch aus der Hand legen. Stückeschreiber, Regisseur und Hauptdarsteller sind zufrieden. Die zweite Verwandlung ist gelungen. Aus Eins mach’ Zwei. Diese Absicht geht der Erschaffung Evas voraus. Der Stückeschreiber und Stifter hat diese Verdoppelung vorweggenommen. Mann und Frau, Philemon und Baucis, stehen von Anfang an fest. Dialog statt Monolog. Der Hauptdarsteller muß in beide Rollen schlüpfen. Er entscheidet sich für Bronze statt Holz, mit dem Umweg über Gips. Er stellt die Form über den Inhalt: Frau und Mann werden 4- und 6-teilig gegliedert, ihr Wachstum auf etwas über drei Meter begrenzt, ihre Gliederung in organische Segmente geteilt. Diese sehen aus wie umgedrehte Zuckerhüte und erinnern auch an urtümliche Schachtelhalme, in der Botanik Equisetum benannt. Manche erkennen im Aufbau die Strukturen eines vielschaligen Brunnens. Vor allem aber erkennt man die formalen Prinzipien des Hauptdarstellers Rennertz wieder, seinen vertrauten Sprachrhythmus. Dann seine Entscheidung: ein Sockel für zwei Figuren. Der Dialog wird zur Partnerschaft angehoben. Daraus folgt: Abstände sind zu bestimmen, die Maßstäbe der Teile, die räumliche Durchlässigkeit, die Ansichten von vorn und hinten, das Spiel von Körper und Fläche. Große klassische Vorbilder für diese Konstellation stehen in Weimar (Goethe und Schiller von E. Rietschel) und in Berlin (Die preußischen Prinzessinnen von G. Schadow). Rennertz spricht von seiner Gruppe die männlich/weibliche Beziehung an: „Der Turm und die Wiegende“. Es handelt sich hier jedoch eindeutig um Philemon und Baucis. So hat es der Stückeschreiber gewollt. Und damit handelt es sich und die dritte Verwandlung. Zuerst kam der Platz, dann die Skulpturen und schließlich der Titel zum Stück, die Namen der beiden Alten, nach den Metamorphosen des Ovid. Der Stoff zieht ein und damit die Erzählung. Der Inhalt ist bekannt und oft vorgetragen: Zeus und Hermes bei dem gastfreundlichen Paar. Die große Bewirtung. Die Anweisungen der göttlichen Gäste. Der Aufbruch. Die Flut. Der Tempel. Die Verwandlung von Philemon und Baucis, am Ende ihres Lebens. Die Hütte wird zum Tempel und unter der Hand von Rennertz – das Holz zu Bronze. Die Form der Stele personifiziert sich in Philemon und Baucis. Die beiden Menschen verwandeln sich nach der sage bei ihrem Tod in Bäume, in Eiche und Linde. Und diese letzte Verwandlung vollzieht der Bildhauer mit, macht sie eigentlich überhaupt erst sichtbar im Kanon seiner Skulpuren. Hier setzt seine Erzählung ein, und der Souffleur muss schweigen. Ein Schlusswort sei ihm gestattet. Der Eintritt in die Lichtentaler Allee ist nicht der Eintritt in den Mythos, aber in eine alte Geschichte. Der Regisseur Brunsing ersetzt heute und morgen und im Laufe der Zeit die vorhandenen Ahorn- und Tulpenbäume allmählich wieder durch die angestammten Eichen und Linden. Der Stifter Metzmeier stellt dazu die anschauliche Legende bereit, und der Bildhauer Rennertz hat diese in eine handgreifliche Form gegossen. Im Vorspiel auf dem Theater in Goethes Faust sagt die lustige Person; „Laßt uns auch so ein Schauspiel geben. Greift nur hinein ins volle Menschenleben! Ein jeder lebts, nicht vielen ists bekannt, und wo Ihrs packt, da ists interessant.“

zu Eröffnung der Ausstellung „SägeWerk“ am 22.09.2012 im Kunstverein Werfen

Einen hoffentlich schönen und guten Abend wünsche ich dem kunstinteressierten Publikum hier im Kulturverein Werfen-Tenneck! Ich freue mich, den Künstler Karl Manfred Rennertz und seine Frau Susanne, beide sind aus Baden-Baden angereist, begrüßen zu dürfen.

Arbeiten von dem Künstler Rennertz findet man in so renommierten Museen, wie das Museum Centre Georges Pompidou in Paris, der Kunsthalle Bremen, dem Wilhelm-Lehmbruck-Museum, Duisburg, der Staatsgalerie Stuttgart, dem Kunstmuseum Düsseldorf, dem Kunstmuseum Wolfsburg, der Kunsthalle Mannheim, dem Museum Schwäbisch Hall oder der Japan Foundation in Tokio und bis zum 28. Oktober, hier in Werfen mit einigen, speziell für diesen Ausstellungsort geschaffenen Arbeiten!

Ich verspreche ihnen keine all zulange Eröffnungsrede und möchte mit einem Tagebucheintrag des Künstlers anläßlich einer Gruppenausstellung, der Hammerausstellung1979, in Basel beginnen. Rennertz notiert: Tinguely montiert, Luigenbühl schweißt, Max Bill poliert, Spoerri organisiert sein Grauen, Klauke installiert, Uecker nagelt, Hüppi hämmert, ich säge. Sägewerk ist der Titel dieser Ausstellung, dem Sägen ist der Künstler treu geblieben! Und wie er in den vergangenen 3 Jahrzehnten sägte: die große Römerin aus Pinie, ein großes Paar aus einem Tulpenbaum und Lindenholz, aus der Robinie das große Züricherpaar und aus dem Eichenstamm eine Baslerin. Rennertz sagt, wenn irgendwo ein Baum weg muß, stört, ein Baum mit Geschichte und Leben fällt, komme ich, säge und lasse das übrig, was eine Zeitlang – vielleicht – besser gehegt wird als die Pflanze, und doch uns beide zeigt. Ob eine Thuja, Eßkastanie, Ulme, Pappel, Robinie, Schwarzerle, Rotbuche, Lärche, Palme, Ahorn, ein Mammutbaum, Cheerholz, Iffe, Jamun, Iroko undsofort, der Bildhauer, der Sägemeister Karl Manfred Rennertz tritt in einen Dialog mit seinem Baum.

Behutsam bereitet sich der gebürtige Rheinländer, der seine Ausbildung nach dem Abitur an der renommierten Düsseldorfer Kunstakademie absolviert hat, auf den spontanen, konzentrierten Arbeitsprozeß vor, eine Verbindung mit seinem Baum entsteht! Gefährlich und lautstark frißt sich dann die Kettensäge durch den Stamm, das Holz riecht, hat seine eigene Spannung, Verdickungen, Härten – Vorsicht vor einer unkontrolliert zurückspringenden Säge – eine kleine Unaufmerksamkeit und die Skulptur ist zerstört oder man selbst schwer verletzt! Es entstehen Ecken und Kanten, Leerräume und Zwischenräume, lebendige Oberflächenstrukturen oder mit Feuer verkohlte Oberflächen, welche das Licht im wahrsten Sinn des Wortes verschlucken. Rennertz verwendet auch Farbe, meistens Weiß, Schwarz, Rot und Blau und steigert dadurch die Expressivität der Objekte. Rennertz ist kein Behübscher, selbst vergoldete Arbeiten haben etwas rohes und zugleich archaisches. Man denkt an Rituale alter Kulturen, Stammeskunst wo ebenfalls Holz als Werkstoff, Feuer und Erdfarben verwendet werden, und das rund um den Globus in allen Kulturen! Die Skulptur, das Objekt spricht dem Menschen, dem Menschen als Künstler und den Menschen als Betrachter. Oder wie es Peter Beye sagt, dass eine stark ausgeprägte Polarität zwischen emotionaler Direktheit und intellektueller Distanz bestimmend ist für nahezu alle Werke des Künstlers!

Diesen puren Gestaltungswillen und seine Umsetzung, ein Säge- oder Feuerritual, kann man doch öfters miterleben, wenn Karl Manfred Rennertz vor Publikum an öffentlichen Plätzen arbeitet! Wofgang Zemter, Museumsdirektor in Witten, meint sinngemäß, dass im Schöpfungsprozess, im Entstehen, Elementares freigesetzt wird: Urgewalt – auch weil der Künstler seine gesamte Körperkraft einsetzt und wir mit einer Momumentalität konfrontiert werden, die von Innen kommt!

Betrachten, begreifen sie die Arbeiten in ihren Bezügen untereinander, zum Raum und zum Menschen.

Die universelle Sprache von Karl Manfred Rennertz
Zur Eröffnung der Ausstellung „Die Köpfe der Serpara“, 8. Juni 2014

Die expressionistische Tradition

Karl Manfred Rennertz gehört zu einer reichen deutschen – und durch ihre Ausbreitung europäischen – Tradition expressionistischer Holzskulptur. Die gesamte Umsetzung einer persönlichen Idee in ein Kunstwerk, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts entscheidend war für die Kunst der Fauvisten und Expressionisten, wurde in Deutschland in hohem Maβe mit einerseits gotischen einheimischen Formen und andererseits mit einem zunehmenden Interesse für die ethnografischen Artefakte in entsprechenden Museen vereinigt. Die Direktheit und das Ungekünstelte der sogenannten ‚primitiven‘ Kunst ‚ war im Zusammenhang mit expressiver Kantigkeit, wie in der spätgotischen Plastik, mitentscheidend für die Kunst von ‚Die Brücke‘, ‚Der Blaue Reiter‘ und für den deutschen Expressionismus der Nachkriegszeit. Die kunsthistorische Determinante wird Karl Manfred Rennertz – genau wie seine Vorgänger – mit individuellen und aktuellen Elementen vermischen.

2. Der Baum

Weil der Baum im Erdboden wurzelt und seine Krone sich gegen den Himmel streckt, gehört er in Analogie zum Menschen zu zwei Welten. Der Baum wächst, stirbt und liefert – wie die skandinavischen Designer zum Überfluss erkennen – ein warmes und taktiles Material. Der Baum ist auch das Ergebnis seines Standorts und seiner Entwicklung. Deshalb ist jedes Exemplar einzigartig. Man übertreibt nicht, wenn man unterstellt, dass Holz nicht nur ein natürliches, sondern auch ein menschliches Material ist. Aus u.a. diesem Grund versteckt Karl Manfred Rennertz die Qualitäten des Holzes nicht. Seine Skulpturen verhüllen nie die Verbindung zwischen dem bearbeiteten Material und dem Leben, von dem es stammt. Die Form des Baumes wird vom Künstler dahingehend ausgeschöpft, dass die Ursprungsform des Stammes mitentscheidend ist für das Aussehen der Skulptur. Es erinnert ein bisschen an den David von Michelangelo, dessen Form in hohem Maβe von einem hohen und schmalen Marmorblock bestimmt wurde, den der Künstler zu seiner Verfügung hatte. Die Verbundenheit mit dem Ausgangsmaterial manifestiert sich reflexiv bei den Arbeiten des deutschen Holzbildhauers. Nicht nur in seinen säulenartigen Figurationen, sondern auch in seinen Masken und in seinen Vorstellungen die auf Kugel, Herz, Goldklumpen, Tropfen und andere anspielen.

3. Doppelbegriffe

Nebst dem scheinbaren Gegensatz zwischen dem mit der Natur verbundenen Material und der durch die Kultur geschaffenen Form, gibt es noch andere Spannungsfelder in Karl Manfred Rennertz‘ Oeuvre. So steht – um nur die wichtigsten Doppelbegriffe oder Gegensatzpaare zu erwähnen – kreieren gegenüber vernichten, figurativ gegenüber abstrakt und verhüllen gegenüber enthüllen. Auf diese Weise wird das Holz während des Produktionsprozesses einmal wegen seiner Eigenheit gehegt und ein andermal mit Kettensäge und Gasbrenner verletzt. Widersprüchliche Ausdrücke wie zerstören und kreieren sind unauflöslich miteinander verbunden. Die säulenförmigen Konstruktionen, die größtenteils Repräsentationen des Menschen sind, bewegen sich innerhalb einer haardünnen Grauzone zwischen Figuration und Abstraktion. Das eine Mal sind sie als menschliche Gestalt noch wiederzuerkennen, das andere Mal fehlt jede Verbindung.

Zum Schluss bemalt der Künstler seine Skulpturen oder schwärzt sie mit Feuer. Das passiert jedoch immer im Dialog und mit Respekt für die Eigenart des Materials; Struktur und Taktilität sind immer sichtbar und fühlbar. Gewissermaßen erinnern die farbigen Skulpturen an die bereits genannten spätgotischen Werke, bei denen die Polychromie etwas verblasst ist. Übrigens sind einige Arbeiten vom Künstler auf der Rückseite ausgehöhlt. Auch dies erinnert an die Technik mittelalterlicher Meister.

4. Zeichenwert und Universalität

Die Skulptuen von Karl Manfred Rennertz sind einfach , ungekünstelt, Urgestalten. Solche Archetypen haben ein großes semiotisches Potenzial. Seine „Boote“ zum Beispiel schließen sich nicht nur eng an den ausgehöhlten Baum an, sie repräsentieren auch das Reisen, nicht nur im physischen Sinne des Wortes. Wir denken dabei an die ägyptischen Sonnenboote, welche die Sonne täglich über den Himmel tragen, oder nicht so lange her, die Kanus im Werk des italienischen Arte-Povera- Künstlers Gilberto Zorio. Die Einfachheit und Natürlichkeit von Karl Manfred Rennertz’ „Boot“ erinnert an eine Mandorla, jener mandelförmige Nimbus, der in der Kunstgeschichte benutz wurde, um einen wertvollen Inhalt einzuschließen. Im Mittelalter war die Mandel auch Symbol für die Gebärmutter, vermutlich wegen der formalen Parallele zur Vulva. Einen ebenso reichen Zeichenwert kann man an die imposanten Säulenformen koppeln, die sich einmal auf eine – schon erwähnte – stilisierte menschliche Gestalt und ein andermal auf historische architektonische Konstruktionen beziehen. Im Fall der menschlichen Gestalt erinnern sie – wie gesagt – an ethnische Artefakte, an den deutschen Expressionismus der Vorkriegszeit und an Bilder von Pablo Picasso. Anderenfalls gibt es Reminiszenzen an Konstruktionen, die der Mensch schon immer und überall geschaffen hat, um ein Zeichen zu setzen. Sich zu erheben in eigener Ehre und eigenem Ruhm, auf der Suche nach einer Verbindung mit dem Höheren oder aus welchem anderen Grund auch immer. Überall finden wir dieses Erheben wieder, von prähistorischen Megalithen bis zu nordamerikanischen Totems, von Obelisken bis zu Triumphsäulen, von präkolumbianischen Stelen bis zu gegenwärtigen monumentalen Bildern, die als Zeichen in der Landschaft stehen. Denken wir an die ‚Freiheitsstatue‘ in New York Bay, an ‚Christus der Erlöser‘ in Rio de Janeiro oder an den imposanten ‚Angel of the North‘ von Antony Gormley in Gateshead.

Am Rande sei erwähnt, dass Besucher , die mit Limburger aktueller Kunst vertraut sind, diese Ausstellung auch mit den Werken von Willy Van Parijs in Verbindung gebracht haben.

5. Extrapolation

Dank seiner Form und Bedeutung hat das Werk von Karl Manfred Rennertz eine universelle Dimension. Mit gleicher Leichtigkeit arbeitet er in seinem Ursprungsmaterial Holz, schafft aber darüberhinaus sowohl dreidimensionale Werke aus Bronze, Glas und Beton wie auch zweidimensionale Werke auf Papier, Holz und Textil. Mithin ist der Künstler Karl Manfred Rennertz als weltläufiger Protagonist des gegenwärtigen deutschen Kunstschaffens zu sehen.

zur Eröffnung der Ausstellung in der Majolika ART, Karlsruhe am 06.02.2015

Kunst ist immer gleich und doch immer anders. Mit Stephan Balkenhol stellte die Majolika-Manufaktur hier in ihren Galerieräumen ab April letzten Jahres Keramik eines renommierten Künstlers aus, der das Hauptgewicht seines Schaffens auf die anthropomorphe Holzskulptur legt. Mit Karl Manfred Rennertz folgt heute ein Künstler mit ganz ähnlichem Schwerpunkt. Im Gegensatz aber zu Balkenhol nimmt die Keramik im Werk von Rennertz schon jetzt, obwohl erste eigenständige Arbeiten erst 2014 entstanden, in seinem aktuellen Gesamtschaffen einen relativ breiten Raum ein.

Das keramische Werk von Karl Manfred Rennertz dreht sich um die menschliche Gestalt. Darin setzt es eine Entwicklung fort, deren Anfänge mindestens bis in die Mitte der 1970-er Jahre zurückreichen. Als Schüler der Düsseldorfer Kunstakademie schuf er damals veristische, porträtähnliche Standfiguren aus behauenem Holz in Lebensgröße. Ihre vibrierende, feinstrukturierte Oberfläche zeigte damals die Absicht des Künstlers, die natürliche Eigenart des Materials, wie dessen Maserung und sonstige gewachsene Unregelmäßigkeiten, sowie die Spuren seiner Bearbeitung mit dem Stechbeitel als integralen Bestandteil der künstlerischen Wirkung der Skulptur zu nutzen. Und schon damals reizte es ihn, durch die Bemalung einiger Arbeiten mit Realitätsebenen zu spielen.

Auf Subtilität folgte nach wenigen Jahren Expressivität. Mit der Kettensäge aus massiven Baumstämmen herausgeschnittene, übereinander angeordnete Keilformen bilden abstrakte, menschliche, häufig überlebensgroße Gestalten. Eine farbige Bemalung oder ein Anbrennen der Oberfläche lassen die Objekte scheinbar altern: tiefsinnige und subtil ausponderierte Arbeiten an der Nahtstelle von Architektur, Skulptur und Malerei im Wirkungsfeld von gewachsener und zerstörter Natur – Werden und Vergänglichkeit. Der Künstler offenbart: Im Kern runder Baumstämme stecken kantige Gesellen.

„In Keramik arbeite ich eigentlich nicht“ hätte Karl Manfred Rennertz noch vor zwei Jahren gesagt. Dann aber griff er 2014 zum Ton, der Bildhauer wurde auch Plastiker. Er nimmt nun kein Material mehr weg, sondern fügt welches hinzu, weichen Ton, Zerfallsprodukt von hartem Gestein. Wie bei der Holzbildhauerei liefert die Natur auch hier den Rohstoff, der Künstler die bildnerische Idee. Streng genommen gingen dem großen Schritt in Richtung Keramik aber schon viele kleine voraus: Bozzetti, plastische Skizzen aus Ton für Skulpturen aus Bronze und Beton. Jetzt aber wird der Ton durch das Brennen zum autonomen Kunstwerk nobilitiert, ist Endzweck, nicht mehr nur Mittel.

Das Hauptkontingent der in diesen Räumen ausgestellten Keramiken von Karl Manfred Rennertz bilden Köpfe. Eine Ausstellung im Skulpturenpark „La Serpara“ bei Civitella d’Agliano war im letzten Jahr Anlass ihrer Entstehung; der Künstler selbst schildert die näheren Umstände : „Ich beschließe einen Materialwechsel: Keramik statt Holz, besser für den Außenbereich. Kleine Skulpturen, Köpfe, freie farbig glasierte Formen können im mächtigen Grün leuchten. Im Etruskerland hat die Keramik große Tradition und obschon auch in meinem Heimatort im Rheinland seit Jahrhunderten die Töpferei zu Hause ist, habe ich bisher nie mit diesem Werkstoff gearbeitet. Wagen wir ein Experiment!“

Das Experiment gelang. Ihrer künstlerischen Solidität entsprach auch ihre technische: Die Köpfe überstanden ihren Aufenthalt im Freien ohne Schaden.

Die ersten Köpfe, die Karl Manfred Rennertz für Italien schuf, finden sich auch in unserer Ausstellung. Sie stehen im langen Gang, von hier aus gesehen rechts an der Wand. Die braunen, unglasierten Köpfe einer Frau und eines Mannes rahmen dort zwei andere, bemalte Exemplare ein. Mit ihrer doppelten Lebensgröße erheben die Plastiken nicht den Anspruch, Menschen imitieren zu wollen. Vielmehr sind es freie Arbeiten. Sie wurden jedoch vom Künstler zeichnerisch vorgebildet und dann ins bildsame Material des Tons umgesetzt. Trotz fehlender farbiger Bemalung und gewisser Deformationen – die Hinterköpfe etwa sind verkleinert und der Frauenkopf ist in die Länge gezogen – wirken die beiden Arbeiten erstaunlich lebendig, hellwach und präsent. Der nun neu in die Gruppe der Plastiker aufgenommene Künstler verstand es, durch aufgedrückte und mit dem Finger verstrichene Tonklümpchen eine flimmernde, vibrierende Oberflächenstruktur zu schaffen. Sie lässt die Köpfe noch lebendiger erscheinen und wirkt glatter, abweisender Denkmalhaftigkeit entgegen. Je nach Lichteinfall verändern sich die Schatten dieser Struktur. Die handwerkliche Erfahrung des Künstlers beim Bilden von Tonbozetti seiner Bronze- und Betonskulpturen hinterlässt hier ihre bereichernden Spuren.

Die beiden mittleren, farbigen Köpfe hat der Künstler in eine andere Realitätsebene geführt. Die stellenweise durchscheinende, die gesamte Oberfläche der Plastiken überziehende weiße und terrakottafarbene Fassung schwächen ihren Realitätsgehalt und: lassen sie aber dennoch umso lebendiger erscheinen. Die großen Augen mit weißer Lederhaut blicken selbstbewusst in die Ferne.

Zwei andere Köpfe der Ausstellung in keulenförmiger Gestalt wirken seltsam kauzig. Die mandelförmigen Gesichtsfelder trennen sich nur mit einer einfachen Rille von der Form; Nase und Mund sind noch stärker als die Augen mit flachen Furchen nur schemenhaft angedeutet. Die Form ist wenig plastisch, die Wirkung der Oberfläche tritt dafür in den Vordergrund. Einritzungen und eine fleckige Bemalung mit Engobe und Glasur lassen das Experimentelle dieser Arbeiten erkennen. Der Künstler hat sich auf den Weg der Erkenntnis begeben, er lotet die Möglichkeiten für die künstlerische Ausdrucksfähigkeit des Materials Ton und Farbe aus; „Expressionistische Köpfe“ nennt er selbst diese Werke.

Das Zusammenspiel von gebauter Form und Oberflächenwirkung bestimmt auch andere Exponate der Ausstellung. Ein unregelmäßig geformter Polyeder etwa wurde mit fleckig aufgetragenem Blattgold überzogen, die Kanten blieben dunkel. In die Oberfläche einer abstrakt-anthropomorphen Skulptur aus doppelkegelförmigen Elementen arbeitete der Künstler schokoladenbraune, matte Engobe in die Oberfläche ein. Beim Brennen mischte sich die Engobe mit dem Ton, es entstand ein belebendes Farbenspiel. Glasur, an die Stoß- und Knickstellen der Skulptur aufgebracht, setzt glänzende, kontrastierende Akzente.

Auch die Sitzplatte der Sitzbank in der Ausstellung zeigt eine belebte keramische Oberfläche. Ihre ungewöhnliche Technik resultiert aus der Tätigkeit von Karl Manfred Rennertz als Professor an der Fachhochschule Detmold. Dort entwickelte er ein Verfahren zur haltbaren Inkrustation mit keramischem Mosaik. Das Grundmaterial sind Bruchstücke glasierter Keramikplättchen, in der Majolika-Manufaktur hergestellt und recht hoch bei 1240 Grad gebrannt. Ein waschartiger Rotationsvorgang reibt die Stücke aneinander und schleift die scharfen Bruchkanten ab. Verkehrt herum auf den Boden ausgelegt werden sie mit Hilfe eines Rahmens in Beton eingegossen. Sie liegen also nicht wie bei einem Mosaik üblich nur auf dem Träger auf sondern sind fest in ihm eingebunden. Form und Ornament sind eins. Im Verfahren mit diesen unregelmäßig gebrochenen und verlegten keramischen Bruchstücken liegt großes Potential. Könnte es nicht helfen, der allzu flächigen und kantigen Architektur der Gegenwart etwas Leben einzuhauchen?

Gefühlte, durch Naturprozesse wirkende Vergänglichkeit ist ein wesentlicher Aspekt des Werkes von Karl Manfred Rennertz. Dieselbe Sprache sprechen auch seine Arbeiten mit Schieferton. Bereits 2009 begann er sich mit diesem Material auseinanderzusetzen, einem Zerfallsprodukt von Schiefergestein. Der Künstler war bei der Beschäftigung mit Abraumhalden des Ruhrgebiets darauf gestoßen. Beim Brand dieses angeblich „tauben“ Gesteins bei 950 Grad blähen sich die Brocken auf und wachsen um 10 – 20 %. Wird die Temperatur um 100 Grad erhöht sintern sie und die blattartige Struktur verfestigt sich. Unwillkürlich dachte der Künstler dabei an die heute noch immer aktuelle Diskussion über das Frackingverfahren bei der Gewinnung von Gas, bei dem gashaltiges Schiefertongestein aufgebrochen wird. Karl Manfred Rennertz inspirieren die aufgeblätterten Steine zum Bilden von Reliefs und freistehenden Skulpturen. Ihr Reiz liegt in ihrer Widersprüchlichkeit von scheinbarer Fragilität und gebauter, konstruierter und optisch harmonisch austarierter Festigkeit des Gefüges.

Meine Damen und Herren, der Altmeister der modernen deutschen Kunstkeramik, Max Laeuger, erkannte im Ton das Material, das auf der einen Seite das ärmste – weil einfachste – sei, auf der anderen Seite aber das reichste, weil es dem Künstler die meisten Ausdrucksmöglichkeiten biete: als frei formbares Material in Verbindung mit Farbe und Glasur. Auch Karl Manfred Rennertz hat sich auf die Suche nach dem Abenteuer Keramik begeben. Sie hat, wie Sie sich selbst in der Ausstellung überzeugen können, bereits zu erstaunlichen und vielversprechenden Ergebnissen geführt.

„Einleuchtend wie der Schnitz einer Frucht“
zur Eröffnung der Ausstellung bei KUNST KOCH in Freiburg am 15.05.2017

Bruegel. Meine Damen und Herren, der Name fiel. In Pieter Bruegels „Bauernhochzeit“, da finden Sie so was, sagte Karl Manfred Rennertz. Ja, da schenkt einer der dörflichen Festgesellschaft Wein ein. Ein ganzer Haufen tönerner Krüge wartet darauf, gefüllt zu werden, unten links in der Bildecke – wie ich mich überzeugte. Und übrigens auch im „Bauerntanz“, draußen auf dem Dorfplatz vor der Schenke, auf dem grob gezimmerten Tisch steht so ein Henkelkrug. Die Krüge – darum geht es. Darauf stößt man im Katalog der Ausstellung, die parallel zu dieser hier in Rennertz‘ Heimatort Langerwehe läuft.

Mehrfach abgebildet sieht man einen mittelalterlichen Brennofen, auf dem Gelände derTöpferei Kuckertz & Rennertz, den die Archäologen vom Bonner Rheinischen Landesmuseum ausgruben. In den historischen Ofen sind (aus Fehlbränden) viele solcher Gefäße vermauert, die jenen gleichen, aus denen sich die Bauern beim alten Bruegel bedienen. Langerwehe, zwischen Düren und Aachen, – Langerwehe mit seinem Steinzeug hat eine lange Geschichte und die der Rennertz-Familie ist davon ein Teil. „Seit dem 13. Jahrhundert wühlen die Rennertz auf dem Ulhaus im Lehm“, schreibt der Künstler im Katalog, den er den Eltern widmet und der Langerweher Töpferei. Auf die Keramik ist Karl Manfred Rennertz erst spät zurückgekommen. Dann aber entstanden im atemberaubend schnellen Takt Arbeiten mit Ton. 2015 stellte die Majolika in Karlsruhe den neuen keramischen Zweig seines Werks aus. Hier bei Koch ist von den Köpfen, den „Skizzen“, den Reliefs mit den rillenartigen Fingerspuren nichts. Und doch scheint mir der Bezug nicht weit hergeholt. Rennertz‘ Hommage an das Töpferhandwerk und die Familie ist ein Stück Selbsterklärung.

„Lehm zwischen den Zehen“ (der Titel seiner Schau im Töpfereimuseum) ist ein treffendes Bild. Was den Bildhauer ausmacht – Materialbewusstsein und der lustvolle Umgang mit dem Werkstoff –, findet darin eine Erklärung. Seine Domäne aber ist bekanntlich das Holz. Wie kam es dahin? Was Werk und Vita betrifft, zitiert er gern den „Zufall“ als schlichteste aller Erklärungen. In Düsseldorf wurden, als er an der Akademie studierte, beim Bau der U-Bahn eine Menge Straßenbäume abgeholzt. Holz lag sozusagen auf Straße oder auf der Hand. Der Bildhauer musste nur zugreifen. Längst – unabhängig von Düsseldorf und U-Bahn – ist es so, dass Rennertz, der „berühmte Karl Manfred Rennertz (um Klaus Gallwitz zu zitieren), sich um die Beschaffung von Werkholz nicht scheren muss. Frauen bekommen Blumen. Sagt er. Er bekomme Bäume. Man kommt ihm mit Hölzern aller Art. Roteiche, Schwarzpappel, Rotulme, Weißtanne. Linde, Ahorn, Erle, Esche, Lärche, Robinie, Pinie, Zypresse, Esskastanie, Douglasie, Weide, Buche fallen an. Mammutbaum und andere Exoten. Manche Bäume fällte der Blitz, andere fegte ein Sturm um. Oder irgendein, mehr oder weniger nachvollziehbares, Kalkül brachte sie zur Strecke. Am Ufer des Nils in Luxor sah man aus einer Palme eine Rennertz-Skulptur werden. In Neu Delhi Figuren, zum Beispiel aus Cheerholz. Mit der Arbeit nach draußen zu gehen, fing früh an. 1977 war er beim Holzbildhauersymposion im Freiburger Colombipark. 1979 noch einmal beim zweiten Symposion „Holz + Kunst“ in Freiburg.

Zu der Zeit war er schon dabei, sich vom „Realismus“ der Anfänge zu trennen. 1981 zog er dann in den Südwesten um. Es ergab sich, dass er von seinem Düsseldorfer Professor, dem in Freiburg geborenen, in Baden-Baden lebenden Schweizer Alfonso Hüppi, ein Atelier übernahm. Soll man es Zufall nennen? Der Weggang aus Düsseldorf war eher eine Entscheidung. Wahlbadener ist Rennertz bis heute. In den frühen Achtzigern, in Baden-Baden, fand die Geste in seine Arbeit. Die beiden unübersehbaren Zwei-Meter-Menschen hier mit ihren kantigen Körperformen aus Eiche sind aus der Anfangsphase des charakteristisch Rennertz’schen Figuralstils. Die Figur formulierte er, nun deutlich aus dem Stamm heraus, als zupackend handwerklichen Akt. Ein Protagonist einer Ästhetik des groben Schnitts. Er führte die Kettensäge in die Kunst ein. Ein Hüppi-Porträt von 1979 ist – auf der Linie seiner frühen Bildniskunst – noch gewissermaßen feingezeichnet. Der „Alfonso“, drei Jahre später, lässt den Kopf als mächtigen, in den Leib gerammten Keil erscheinen. Das Bildnis zeigt sich in ein Bildnis der Arbeit verwandelt. Die Figur ist vor allem dies: ein emphatisches Stück Bildhauerei. Expressive Geste? Kein Widerspruch von Künstlers Seite. Er sieht sich getroffen mit dem Wort. Dem Klischee des instinkthaften Ausdruckskünstlers, der sein Inneres nach Außen stülpt, entspricht sein Profil allerdings nicht. Seine Handlung zeichnet sich durch kraftvolle Direktheit aus. Doch kein „Neuer Wilder“ ist er, wie Klaus Jürgen-Fischer klarstellt. Das mochte für einige Maler der Generation um 1950 eine Haltung sein. Mit der Kettensäge aber fuchtelt und wütet man nicht; dies allenfalls beim Massaker, mit dem der Gestaltungsakt kaum zu verwechseln ist.

Der Holzbildhauer hat einen Plan, der vom Baum ausgeht; er handelt in überlegten Schritten. Die Form ist das Resultat einer Kette von Interventionen. Mit den Expressionisten teilt Rennertz die Liebe zum Material. Der Holzschnitt war ja das druckgraphische Medium expressionistischer Bildkunst. Das Holz der Werkstoff expressionistischer Bildhauerei. Im Holz ließ sich auf sozusagen natürliche Weise der Werkcharakter des Kunstwerks hervorkehren. Das organische Holz wirkte als haptischer Reiz und handwerkliche Herausforderung. „Es ist ein sinnlicher Genuss, wenn Schlag für Schlag die Figur aus dem Stamm herauswächst.“ Dass die Worte Ernst Ludwig Kirchners dem Empfinden Rennertz‘ nicht widersprechen, das will ich meinen. Und das Diktum des expressionistischen Maler-Bildhauers Kirchner „In jedem Stamm steckt eine Figur“ – es illustriert uns Rennertz noch in jedem seiner hölzernen Werkstücke.

Aber was einem fern liegt, der wie Rennertz unser Zeitgenosse und nicht der eines Kirchner ist, das ist der idealistische Impetus, der ideologische Überbau. Der Expressionismus der frühen Moderne war von einer Aufbruchstimmung geprägt, die wir nur noch als historisch ansehen können. Mit Schnitzmesser und Beil dachten die Künstler (im Fahrwasser des Südsee-Immigranten Paul Gauguin) nichts geringeres als das Leben neu zu gestalten – das alte Europa und seine Kultur glücklich hinter sich zu lassen in Richtung Natur. Ich finde es fragwürdig, Rennertz im Zusammenhang eines derart neoromantischen (oder auch eines nur ästhetisch-revolutionär motivierten) Primitivismus zu sehen. Rennertz vertritt keine primitivistisch retrospektive Utopie. Er folgt einem entwickelten Formbewusstsein. Begriffe wie „Urtümlichkeit“, „Archaik“, „ursprüngliche Einfachheit“, wie man sie in der Rennertz-Rezeption reproduziert findet, sind von geringem Aussagewert. Sie beschreiben vage Assoziationen und sagen inhaltlich nichts. Das Sentiment, auf das sie rekurrieren, kann ich mit dem Künstler nicht verbinden. Sendungsbewusstsein scheint durchaus keine ihn prägende Eigenschaft zu sein. Wir haben hier an der Wand diese rot gefassten, fast raumhohen „Splitter“. Partikel eigentlich bloß, doch in bildmächtiger Großform. Dies ist, was herauskommt, wenn man bestimmte Schnitte setzt und lang genug durchzieht. Eine denkbar lakonische Form. Einleuchtend wie der Schnitz einer Frucht. Rennertz schaut darauf, dass das Holz möglichst direkt zur Figur findet.

Dass bei dem skulpturalen Prozess nicht übermäßig viel Substanz verloren geht. Selbst „Reste“ werden auf ihren Formwert hin geprüft. Das ist die unaufdringlichste Form der Wertung. Von Belang ist, was formtauglich ist. Doch zweifellos – ohne dass ihr Autor ihnen ein Deutungsgewicht aufbürdet – regen die zeichenhaft prägnanten Dinge des Karl Manfred Rennertz zur Deutung an. Für eine Ausstellung im litauischen Kaunas entstand ein „Schwarzes Boot im roten Meer“, dessen Rumpf der von ihm ja auch zitierten Ganzkörperaura, der Mandorla, nahe kommt. In Kaunas, erzählt der Bildhauer, wollte man ihm sehr dafür danken, dass er mit diesem Boot einen Beitrag zum nationalen Mythos geliefert habe. Dabei war er weit davon entfernt, ein Selbstempfinden seiner Gastgeber in ein Sinnbild fassen zu wollen. Und wenn er die ein oder andere Skulptur – wie diese hier neben dem Treppenaufgang! – als „Herz“ ansieht, heißt das nicht gar so viel. Herz Jesu, Theresa von Àvila? Nein, dies „Herz“ ist kein Bedeutungsbrocken in der Richtung. Und der eindrücklich expressive Gestus Rennertz‘ hat auch nichts mit dem symbolistischen Psychologismus etwa eines Edvard Munch zu tun, der Herz mit Mann und „Weib“ verknüpft. Die rote Form hier: Es fragt sich vielleicht gar nicht zuerst, womit sie sich verbindet. Herz, Blüte, Knospe?

Schauen wir hin, was sich tut! Wodurch diese wuchtige, geschlossene und doch raumgreifende Form bestimmt ist. Handwerkliche Schritte – Schnitte lassen sie klar und einsichtig erscheinen. Schrägschnitte zumal definieren die Dynamik der Standfigur. Etliche Kerben in der Baum nahen Basis bleiben als Spuren der Eingriffe unkaschiert. Wie ein Keil scheint dies herzartig ausladende Ding in dies Fußstück eingespreizt zu sein. Es geht ja, genau genommen, aus ihm hervor – und wirkt doch eher wie ein kraftvoller Zusatz. Anders als solche „Herzen“ wachsen sich die von Rennertz systematisch auf die menschliche Gestalt hin ausgelegten Figuren – so wie die Prototypen vis-à-vis in der Eingangshalle – in übereinander gestaffelten Formfolgen aus. Wenn Sie die Treppe hochschauen, entdecken Sie den Figurentypus noch in zeichnerischmalerischen Varianten breiter dokumentiert. Rennertz‘ Figur nimmt einen Spielraum ein zwischen Architektur und Gewächs. Turm aus Keilen kann sie sein (Die große Gouache in Blau und Rot bildet dazu eine Art zweistufiger Basis.) Doch auch Pflanze ist sie. Mit dem Blick auf „Philemon und Baucis“, Rennertz‘ bronzenes Duo vor dem Theater in Baden-Baden, sprach Klaus Gallwitz von „Schachtelhalmen“. Das wäre die Synthese von Wachstums- Anmutung und Bau. Nicht wenige seiner Figuren gleichen frühlingshaft knospenden Stecken.

Als ich den Bildhauer auf solche Wachstumsmetaphorik anspreche, reagiert er verhalten. Die Idee ist ihm wohl nicht neu. Doch wendet er ein, dass er selbst so nicht denke. Wenn sich’s am Ende in solcher Art darstelle, sei dies – so Rennertz – „die logische Folge des Arbeitsprozesses“. „Wenn man in der Weise aus dem Holz etwas herausnimmt“, sagt er, könne der Eindruck entstehen. Womit er uns konfrontiert, ist konsequente, lapidare Holzbildhauerei. Doch eben mit Ausdruckspotenz. Oben, vor der Glaswand des Sekretariats, steht ein Paar aus der Werkgruppe der Säulen. Tief eingekerbt zeigen sie sich, die naturgewachsenen, weit übermannshohen Zylinder, – und mit eingesägtem Zahnschnitt. Sie tragen ihre Kapitelle wie Köpfe. Die Anspielung verbindet sie entfernt mit Karyatiden. Und sie stehen nicht einfach da: entwickeln vielmehr eine Körperspannung. Gehen aufeinander ein. Ja, ihre Zweisamkeit liegt in ihrer Haltung begründet. Ich will sie, in ihrem Inkognito, als Vorläufer der Philemon und Baucis ansehen, die zum Baumpaar mutierten. Seine Bildideen skizziert der Mann mit der Säge, Karl Manfred Rennertz, großzügig in Gouachen. Sie antizipieren die dreidimensionale Form, bevor noch mit Farbe die projektierte Gestaltung auf dem Stamm vorfixiert wird. Und sie stellen aber auch selbst, in ihrer bildmäßigen Ausführung, eine gültige Ausdrucksform dar.

Malerei und Zeichnung betreibt Rennertz darüber hinaus mit den Mitteln des Materialbildners, des inspirierten Verfahrenstechnikers. Mit seinen Dachpappen knüpft er motivisch an die figurativen Bildwerke an. Und schafft sich doch, andererseits, ein Handlungsmuster sui generis. Beides macht die Ausstellung klar. Sein Handeln schließt ungewöhnliche Methoden und Mittel ein. Der Holzschneider und -drucker HAP Grieshaber nahm, wenn es Not tat, den Kochlöffel in die Hand – zum Durchreiben der geschnittenen Form. Um großformatige, die Möglichkeit konventioneller Pressen sprengende Holzschnitte zu drucken, bedient sich Karl Manfred Rennertz der kolossalen Kraft der Dampfwalze. Und seit langen Jahren schon ist er ein aktiver Anhänger der Feuerkraft. Ein unliebsamer Zwischen- oder Zufall brachte ihn darauf. Ein Brandattentat auf eine seiner Skulpturen ließ ihn das Abfackeln als Methode des Einschwärzens entdecken. Es bereicherte sein Handlungsspektrum. Die „Brandaktion“: Sie mag ein Wäldchen hölzerner Säulen betreffen oder auch mal ein aus dem Stamm geschnittenes Boot. Wobei denn, neben dem Rußschwarz, die (ich zitiere) „Überhöhungsfarbe“ Gold zur Geltung kommen kann. Blattgold ist, wirkungssicher, hoch gegriffen.

Ungewöhnlich gewöhnlich ist die Dachpappe. Den Geruch des mit Bitumen beschichteten Baumaterials mochte schon das Langerweher Kind. Vor etlichen Jahren fiel es dann dem Künstler in die Hand. Mit dem Bemalen klappte es allerdings erst, als der zum Trocknen den Brenner einsetzte. Den Farbbrei aufkochte – und auf dem Weg die eingravierten, doch nachher versuppten Strukturen wieder zur Geltung brachte. Die Vehemenz, das furiose fa presto Rennertz’scher Formhandlung erfährt hier mit Farbbrei und Brenngerät eine verblüffende Bestätigung. Wenn ich gefragt würde, was das eigentliche Metier dieses agilen Machers sei. Ich würde meinen: die Feier. Und zwar die Feier des Hier und Jetzt.

Doch dies noch zum Schluss. Nicht unterschlagen will ich die zugespitzt vegetabile Form, den hoch aufgebockten „Grünen Zapfen“ im Chefbüro. Und schließlich: ein Holzscheit, das auch zum Ensemble gehört. Es hängt über der Treppe. Ein Stück vom Typ der „Maske“. Und eigentlich doch auch nur so ein Rest, wie die Dachpappe war oder die „Splitter“ da. Bei der Arbeit des Stipendiaten in der römischen Villa Massimo fiel es einst ab. Abfall. Und wurde dann aber vor der Abreise aufgegriffen: farbig gefasst. Auf dem Weg der Gestaltung dem Gang allen Feuerholzes erfolgreich entzogen. Gewürdigt – als Formträger. Dass Feuer „ein wunderbares Medium“ sei, sagt Rennertz. Das sagt der Gestalter, der an den Brenner und nicht an den Brennofen denkt. Jetzt leuchtet seine „Maske“ noch nach bald drei Jahrzehnten fast wie Feuer. Aber ultramarin wie das herrliche Meer.

Rede zur Eröffnung der Ausstellung Ulrich Gehret – Karl Manfred Rennertz
im Haus der modernen Kunst Staufen 22.1.2016, Hans Joachim Müller, Freiburg.

Manchmal hat man doch wirklich den Eindruck, liebe Freunde, der Manfred Kluckert macht das extra. Hat seinen Spaß dran, sich Leute ins Haus zu holen, Künstler, die sich nicht kennen. Setzt den einen ans eine Tischende und den anderen ans andere, und wartet mal ab, was passiert. Ob sie sich was zu sagen haben. Ob sie ein höfliches Gespräch beginnen oder höflich schweigen Ob sie noch ein bisschen fremdeln oder gleich guter Dinge sind. Ja, und wir sollen mit am Tisch sitzen und für gepflegte Unterhaltung sorgen. So ist das wieder mal. Schauen wir halt, wie’s wird.

Den Ulrich Gehret kennen wir ja schon. Er ist sozusagen ständiger Gast hier im Hause. Wenn man sich unten im Lager umschaut, dann stößt man da und dort auf eine Arbeit von ihm, kleinere und größere, die aber alle gleich schwer erscheinen. Das fällt ja immer gleich auf bei diesen Bildern, wie sie in ihren Stahlrahmen verpackt sind, buchstäblich eingeschweißt, als bräuchten sie Halt, Disziplin, strenge Bewachung, weil ihnen vielleicht eine Neigung innewohnt, weiter wachsen zu wollen, zu wuchern, sich zu verlieren, unendlich zu werden, unabschließbar – wie ein Roman, der nicht fertig wird, nicht fertig werden kann.

Gehrets Liebingsbuch ist Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“. Er kann ganze Passagen auswendig zitieren. Und wie wir wissen, ist der Mann ohne Eigenschaften ja nicht nur ein Mann ohne Eigenschaften, sondern auch der treibende Held auf dem Meer einer unendlichen Geschichte ohne Horizont, ohne Ufer. Anders bei Gehrets Bildern: Was immer auf ihnen dahin treiben mag, sie haben alle ihre begrenzenden Horizonte, ihre stählernen Ufer.

Da horcht der Karl Manfred Rennertz auf. Das mit den Rahmen scheint ihn zu interessieren. Denn bei ihm gibt es nie, fast nie Rahmen, nur offene Räume, die seine Arbeiten umgeben wie etwas Weiches, Fluides, Durchscheinendes, das sich um die harten, kantigen, splittrigen Formen seiner Holzskulpturen schmiegt. Sie kommunizieren nicht mit den Räumen, in denen sie auftreten, definieren sich nicht durch ihre Umgebung, sie sind einfach da – mit starker Selbstverständlichkeit – wie ein Baum in der Landschaft, der ihnen das Holz geliehen hat, aus dem sie geschnitten, gesägt und gehauen worden sind.

Körper aus kegelartigen Segmenten. Kakteenähnliche Gebilde, als hätten Opuntien ihre Stacheln verloren und dafür alles Runde aufgegeben und spitze, zahnige Silhouetten wachsen lassen. Keilartige Schnitte, die eine Gesichts- oder Körperform in grobe Segmente spalten. Köpfe, durch die die Linien wie Blitze zucken. Schalen, Bootsrümpfe. Man kann Karl Manfred Rennertz’ Arbeiten ziemlich genau beschreiben. Was an ihnen zu sehen ist, ist zu sehen. Mehr ist nicht.

Weniger ist auch bei Ulrich Gehret nicht. Nur dass sich seine Bilder kaum oder nur schwer beschreiben lassen. Und ob, was man sieht, schon alles ist, was man sehen könnte, weiß man nie. Und wofür es keine Worte, keine passgenauen Begriffe gibt, dafür gibt es allenfalls Metaphern. Zuweilen hängen diese krustigen Farbkörper an der Wand, so kommt es einem vor, wie ein totes Tier auf der Strasse liegt. Immer geht es in diesem Werk ein wenig diesig zu. Verschattet, verhangen, wie in feine Gazé gewickelt. Und der seidige Glanz, der auf den Bildern liegt, stammt von der Versiegelung der zeichnerischen und malerischen Gründe mit dicken Schichten Paraffin, was ihnen diese seltsam durchsichtig undurchsichtige Anmutung gibt. Als ob sie im Erscheinen und im Verschwinden zugleich begriffen wären.

Es ist doch schon ganz schön lebendig geworden am Gästetisch. Ulrich Gehret dreht das Glas in der Hand. Und es ist wieder so, als ob er etwas sehen könnte, was wir nicht sehen können. Karl Manfred Rennertz macht eine ausholende Bewegung mit dem ganzen Arm, wie er sie eben macht, wenn er vermummt und im Overall des Waldarbeiters das Atelier betritt. Immer geht er direkt aufs Material zu – oder besser: geht buchstäblich auf das Holz los.

Es hat etwas von der Attacke, wie er, bewaffnet mit der Kettensäge, sich an seinen Holzblöcken zu schaffen macht. Das darf man sich freilich nicht als wüste Formenerzwingung vorstellen. Karl Manfred Rennertz ist ein überaus behutsamer, sensibler Holzbildhauer, der sehr genau weiß, was er seinem gewachsenen Material zutrauen, was er ihm zumuten darf, und der keiner Form wirklich Gewalt antut. Es ist, wie wenn man einen Rinderbraten gegen die Fasern schneiden wollte. Das wird nix. Und so lässt sich Rennertz’ Kettensäge auch immer von dem führen, was wie geheime Regie in den Holzblock eingeschrieben ist. Und dabei entstehen Figuren und nichtfigürliche Objekte, die die Kräfte, die auf sie eingewirkt haben, wie eine Energie in sich tragen und sie als hochexpressive Sprödigkeit abstrahlen. Das erinnert in der Verve und in der stupenden Sicherheit, zumal seit den achtziger Jahren, an das Allegro vivace, wie es die „Brücke“-Malerei der Jahre 1907-1910 Jahren vorgab.

Das nun wiederum gefällt dem Ulrich Gehret außerordentlich gut, wie der Kollege so ganz ohne Bauanleitung ans Werk geht, wie er ein bisschen zeichnet und die Einschnittstellen auf dem Holz markiert, aber ganz ohne Konstruktionsüberlegungen seine Ideen und Vorstellungen realisiert. Er selber macht es ja nicht anders. Man hat ihn zwar gelegentlich sagen hören, er wolle noch dieses oder jenes Bild machen, aber er hat noch nie sagen können, wie er zu diesem oder jenem Bild gekommen ist.

Irgendetwas ist es, was ihn beschäftigt, was ihn angeht, was ihm nicht mehr aus dem Kopf geht. Ein Holz- oder Metallstück, eine Zange, ein ausgeschnittenes Fell, eine Schlangenhaut, ein Gitter, in dessen Maschen sich das Farbpigment wie der Honig in der Wabe sammelt. Und immer ist es so, als seien die Dinge schon einmal im Gebrauch gewesen, als seien Zeit und Geschichte über sie hinweggegangen, hätten sich angelagert an sie – wie Muschelkolonien am Kiel eines Bootes.

Ulrich Gehret ist ein rechtschaffener Krümler, der in seinen Lagern herumkriecht und herumscheppert, dass die Stahlrahmen, die an den Wänden lehnen, in Schwingung geraten, und man Angst bekommt um Leibeswohl und Unversehrtheit des Künstlers. Und wie er so auf der Pirsch ist im Untergehölz seines Vorrats, entstehen seine Bilder, wachsen buchstäblich zusammen. Es ist wie bei der alten Technik der informellen Malerei, die ja auch mehr geschehen ließ, als dass sie einen Bauplan ausgeführt hätte.

Und wenn man sich dann an die Vorhänge und Nebelbänke gewöhnt hat, hinter denen die Dinge glimmen, flirren, flackern wie im Reich der Schatten, dann entdeckt man auch, wie die Farbe da und dort streifig geflossen ist, man sieht die zeichnerischen Partien, die versteckten Motive, die wie abgesunken wirken, durchgebrochen durch alle Weltschichten und wie aus großer Tiefe heraufgeholt. Ein bisschen Urgrund, Urschlamm, so hat es den Anschein, ist immer mit eingerührt in die Bilder des Ulrich Gehret.

Es entsteht jetzt eine kleine Pause am Tisch. Ulrich Gehret sagt nichts. Karl Manfred Rennertz sagt auch nichts. Und man fragt ins Schweigen hinein, ob denn die Kettensäge schon immer im Gebrauch war.

Nein, war sie nicht. Karl Manfred Rennertz’ Frühwerk hat sich noch an realistische Lebensformen gehalten. Es waren bemalte Holzfiguren, die zu Beginn auch Namen trugen, die also durchaus porträthaft gemeint waren. Ein ziemlich witziger Torso hieß „Alfonso Hüppi“, und es war recht virtuos, wie da der gut erkennbare Lehrer zum kuriosen Gnom schrumpfte. Aber das liegt lange zurück. Die Vereinfachungen, Stereotypisierungen kamen nach und nach. Seit Jahrzehnten wirken seine Skulpturen archaisch beruhigt, statuarisch reduziert oder genauer noch: statuarisch temperiert.

Bewegung war nie. Es gab mal ein paar Gliederfiguren, die tatsächlich aus prothesenartigen Einzelteilen zusammengeschraubt waren und als bullige Skiläufergruppe im Schnee standen. Doch dynamisch sah auch das nicht aus. Alles scheint in diesem Werk angehalten, als befinde sich das Holz in Genesung, ließe es sich still gefallen, wie die Verletzungen, die ihm der Form wegen zugefügt wurden, langsam verheilen. Und wenn doch einmal eine Torsion an Bewegung denken lässt, dann ist es eine, die nach innen geht, gleichsam in sich selber versinkt. Und die Bronzen, die nach den Holzbozzetti gegossen worden sind, verstärken den Eindruck nur.

Man muss wissen, Karl Manfred Rennertz hat längere Zeit im ägyptischen Luxor und in Neu-Dehli gelebt und gearbeitet, und das hat nicht ohne Spuren im Werk bleiben können. So hat der Bildhauer bei der Reduzierung der Figur auf das Wesentliche eine Erfahrung nachvollzogen, die die frühe Moderne, die Kubisten vor allem, im ethnologischen Museum gemacht haben. Wobei man sich natürlich fragen darf, was das Wesentliche ist. Die Stammeskulturen zielen mit ihren wie erstarrt wirkenden Figuren ja gerade nicht auf einen Wesenskern, sondern auf etwas Überpersönliches, Überindividuelles. Und weil das auch für das Werk von Karl Manfred Rennertz gilt, kann sich ein Gesichtsoval zur konkaven Hohlform und dann auf einem Grundbrett zum Relief ausbilden, das weder der Natur genügt noch der Geometrie, sondern irgendwie dazwischen schwebt. Und dieses konkave Oval zieht sich im nächsten Schritt ellipsenartig in die Länge und erinnert auf dem Boden an ein Boot, einen Einbaum, an den Schiffsbau, in dem Jason das goldene Fliess transportiert oder an die Barke, in der Dante und Vergil durch den Höllenfluss treiben.

Jetzt aber solltet ihr den Ulrich Gehret sehen. Beim Stichwort Boot springt er auf. Boote kommen ja auch bei ihm immer wieder vor. Jason-Schiffe, Dante-Barken. Er selber hat sich ein Hausboot gezimmert und ist mit ihm ganz allein, wie es sich gehört, den Amazonas rauf und runter gesegelt. Und wenn es nicht der Amazonas war, dann war`s ein anderer Fluss. Zuweilen schimmert so eine Erinnerung in dem einen oder anderen Bild durch. Man tritt näher heran. Möchte mehr sehen. Aber man sieht nicht wirklich mehr. Muss ja auch nicht sein. Gehrets Bilder sind Bilder von Bildern. Bilder aus einem intimen Bilderspeicher, wo die bewussten und unbewussten Anteile ziemlich ungeordnet lagern und sorgsam versiegelt darauf achten, dass sie nichts preisgeben.

Wunderbar, die beiden so am Tisch zu erleben, den Maler mit dem Bunsenbrenner und dem Paraffintopf und den Gefühlsmenschen mit der Kettensäge. Was für ein Gespräch miteinander, untereinander! Ging doch, sag ich doch.

Also viel Vergnügen in der Ausstellung.